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- 120 - 60. Biennale Venedig
Die Biennale Venedig, eines der grossen Kunstevents, die auch über die Kunstwelt hinaus bekannt sind, blickt in diesem Jahr in den globalen Süden. «Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere», steht als Titel über der diesjährigen Biennale. Fremde überall. Es geht um Fremdheit, um Einwanderer, Auswandererinnen, Menschen zwischen Kulturen, Nationen, Lebensformen. In dem Titel schwingt deutlich der Anspruch der Biennale mit: Kunst hat was zu aktuellen Situation, zu den aktuellen Krisen zu sagen. Kann die Ausstellung im Arsenale und im Zentralpavillon dieses Versprechen einlösen? Oder findet der beste Teil der Biennale in diesem Jahr in den Länderpavillons statt? Talk mit Deborah Keller, Chefredakteurin des Kunstbulletins, und Kathleen Bühler, Chefkuratorin des Kunstmuseums Bern.
Wed, 01 May 2024 - 119 - Dokumentarfilmfestival Visions du Réel 2024 in Nyon
Der Dokumentarfilm ist nach wie vor das stärkste Exportprodukt der Schweizer Filmszene. An den Visions du Réel in Nyon trifft er Jahr für Jahr auf ein fasziniertes Publikum. Und auf die internationale Konkurrenz, in einem zunehmend globalisierten Austausch. Die eh schon renommierten Visions du Réel in Nyon sind unter der Leitung der international bestens vernetzten Emilie Bujès zu einem der europäischen Hotspots für den Dokumentarfilm geworden. Der Basler Regisseur und Produzent Vadim Jendreyko ist mit seinem sehr persönlichen Europa-Essay-Film «The Song of Others» im internationalen Wettbewerb. Mit ihm und der Künstlerin und Szenekennerin Ruth Baettig («Filmexplorer») diskutiert Michael Sennhauser die Entwicklung des Festivals und den aktuellen Status des Dokumentarfilms in der Schweiz und im globalen Kontext.
Wed, 17 Apr 2024 - 118 - Das Einhorn – das coolste Tier, das es nicht gibt
Einhornforschung – ein Pferd mit Stirnhorn und Bambiblick trappelt seit Jahrtausenden durch die Geschichte der Menschheit. Oft gejagt, aber unsterblich, dient es als Projektionsfläche für den Traum vom Unschuldigen und Wilden, von Liebe und Einzigartigkeit und sonstigen Sehnsüchten jeglicher Art. Das Pferd mit dem Horn auf der Stirn beflügelt die menschliche Fantasie seit Jahrtausenden. Einige wollen es gesehen haben. Andere haben davon gehört. Und angefasst haben es bisher nur Jungfrauen. Das Tier, dessen Horn wundersame entgiftende Eigenschaften nachgesagt werden, wird bereits in der Antike von Gelehrten beschrieben. Im Mittelalter erhält es sogar einen Platz auf der Arche Noah. Heute ist es Cashcow der Spielzeugindustrie und Maskottchen der LGBTQ+ Community. Einhornforscherin Julia Weitbrecht hat das unfassbare Wesen wissenschaftlich eingefangen.
Wed, 03 Apr 2024 - 117 - Verteidigung des Humanismus – Gespräch mit Omri Boehm
In Zeiten polarisierter Debatten tritt der israelische Philosoph Omri Boehm gegen identitäres Denken an und beruft sich dabei auf Immanuel Kant. Für sein vieldiskutiertes Buch «Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität» bekommt er nun den «Leipziger Buchpreis für Verständigung». Für welche Grundwerte stehen wir ein in liberalen Demokratien? Omri Boehm schlägt den Bogen von der Philosophie zur gegenwärtigen Politik und erinnert in seinem streitbaren Buch an das Erbe der Aufklärung und Kants universalistischen Humanismus. Dabei kritisiert er identitäres Denken quer durch das politische Spektrum und mahnt an, sich nicht mit Konformismus zu begnügen. Omri Boehm führt aus, was seine universalistische Position in Bezug auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina bedeutet und warum es eine Pflicht zur Hoffnung gibt, wenn man nicht bei einer Dystopie enden will.
Wed, 20 Mar 2024 - 116 - Antisemitismus heute: Altes Gift in neuen Schläuchen?
Antijüdische Hasspropaganda grassiert online und auf der Strasse. Der Antisemitismus kommt von rechts, von links und aus der Mitte. Wir besuchen die jüdische Schule Noam in Zürich und fragen deren Rektor Zsolt Balkanyi-Guery, welchem Antisemitismus er begegnet und woher der kommt. Gast im Kultur-Talk ist der Historiker Zsolt Balkanyi: Er ist Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Rektor der jüdischen Schule Noam in Zürich, Familienvater und jüdischer Armeeseelsorger. Balkanyi hat sich als Forscher mit der Geschichte von Antisemitismus in der Schweiz befasst. Er erlebt antisemitische Attacken aber auch im Alltag, mit seiner Familie und im Umfeld der jüdischen Schule Noam. Wie hält er das aus? Als Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA hat Zsolt Balkanyi die ganze Schweiz im Blick. Hier hat Antisemitismus hat neue Dimensionen angenommen: er wird laut artikuliert und gewalttätig ausagiert. Was hat die Schweiz, was haben Bildungssystem und Zivilgesellschaft hier versäumt? Die antijüdischen Hass-Stereotype sind Jahrhunderte alt, neu werden sie in digitalen Schläuchen millionenfach reproduziert. Wie konnte das passieren? Weitere Beiträge auf SRF zum Thema: https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-religion/video/antisemitismus-und-muslimfeindlichkeit-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:33a1b163-fd1c-4b10-9e57-9903b7063f2a https://www.srf.ch/audio/perspektiven/evangelikale-und-israel-ist-das-echte-zionsliebe?id=12480654 https://www.srf.ch/audio/kontext/kultur-talk-davos-ferien-vom-antisemitismus?id=12502512
Tue, 05 Mar 2024 - 115 - Und plötzlich ist alles anders – vom Umgang mit Krisen
Egal ob geplant oder plötzlich: Veränderungen im Leben sind meist eine Herausforderung. Unser Umfeld verändert sich, und wir verändern uns mit. Wie uns Krisen stark machen, davon schreibt die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello in ihrem neuen Buch «Own your age». Manche Veränderungen fühlen sich leicht und befreiend an, andere sind schmerzlich und manchmal haben wir das Gefühl, daran fast zu zerbrechen. Weniger bekannt ist, dass Krisen immunisierend wirken, dass das, was uns herausfordert, auch stark machen kann. Die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello beschreibt im Gespräch nicht nur die drei Lebensphasen ab der Lebensmitte, sie fokussiert vor allem auf die Lebensübergänge. Und so viel sei bereits verraten: Wer Krisen und Umbrüche bewusst anpackt, ist auch mit Blick auf die verlustreichen Veränderungen im Alter gut gewappnet. Hinweis zum Buch: Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello: Own your age. Die Psychologie der Lebensübergänge nutzen. Beltz Verlag, 285 Seiten.
Wed, 06 Mar 2024 - 114 - Erik Wegerhoff: Wie das Auto die Architektur prägt
Blicken wir aus dem Fenster, wandern wir durch die Stadt, sehen wir Gebäude, Strassen und Autos. Erik Wegerhoff erkundet in seinem Buch «Automobil und Architektur» das Spannungsfeld der beweglichen Fortbewegungsmaschine und der unbewegten Bauwerke, und dies fast übers ganze 20. Jahrhundert. Auf die Erfindung des Autos hätten die Architekten im frühen 20. Jahrhundert zunächst mit Panik reagiert, sagt Erik Wegerhoff, Dozent für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH Zürich. Denn die engen Städte taugten nicht für das schnelle Verkehrsmittel. Wegerhoff denkt anhand dreier Kapitel – «Beschleunigen», «Schalten», «Abbremsen» – darüber nach, wie sich das Automobil auf Gebäude, Städte, Strassen ausgewirkt hat. Der einstige Geschwindigkeitsrausch sei längst einer Planung gewichen, die auch dem langsamen Verkehr, den Radfahrerinnen und Fussgängern, grossen Stellenwert beimisst. Buchhinweis: Erik Wegerhoff: «Automobil und Architektur», Berlin: Wagenbach.
Tue, 27 Feb 2024 - 113 - Kritikerrunde von der 74. Berlinale
Ein letztes Mal verantwortet der einstige Locarno-Leiter Carlo Chatrian das Programm der Berliner Filmfestspiele. Ein Drittel weniger Filme aus Spargründen, deutlich mehr Arthouse-Produktionen und politische Misstöne im Vorfeld. Nichts mehr zu verlieren oder ein Abschied in Ehren? Die 74. Berlinale ist die letzte des Leitungsduos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Sparmassnahmen, schwindende Infrastruktur, das Absägen des einst als Hoffnungsträger geholten künstlerischen Leiters und die politischen Misstöne um wieder ausgeladene AfD-Parlamentarier drückten auf die Stimmung vor Europas grösstem Publikumsfestival. Dafür ist das Filmprogramm in allen Sektionen anspruchsvoller geworden und ambitionierter. Nutzt Chatrian das Programm als trotzige Abschiedsvorstellung? Michael Sennhauser fragt nach bei den Berlinale-Runde-Stammgästen Katja Nicodemus und Peter Claus.
Wed, 21 Feb 2024 - 112 - Warum Grundeigentum?
Am Anfang war die Erde wüst und leer – und gehörte als Gemeineigentum allen. Als die Menschen sesshaft wurden, begann sich das zu ändern. Und heute bezahlen wir Miete oder Hypothekarzinsen für die Fläche, die wir bewohnen, weil wir nicht unter der sprichwörtlichen Brücke schlafen können. Warum? Francis Cheneval, Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich, und der emeritierte Anthropologe Carel van Schaik unterhalten sich darüber, wie es kam, dass der Boden zum Privateigentum wurde. Sie denken über Ungleichheit nach und über die Frage, wann Gewinnstreben auf Kosten der Mieterinnen und Mieter unethisch wird. Und weshalb das Eigentum in allen grundlegenden Texten von der Bundesverfassung bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Grundrecht gilt.
Wed, 07 Feb 2024 - 111 - Gesprächsrunde von den 59. Solothurner Filmtagen
Jedes Jahr im Januar versammelt sich die Schweizer Filmwelt in Solothurn: Seit bald 60 Jahren wird hier jährlich Bilanz über das Schweizer Filmschaffen gezogen. Die «Filmernte» des letzten Jahres, Premieren und Reprisen werden in der Barockstadt während einer Woche gezeigt. Auch das Gespräch über das Schweizer Kino, über die gezeigten Filme, aber auch über filmpolitische und andere Themen wird in Solothurn gesucht und geboten. Zum zweiten Mal verantwortet der Tessiner Niccolò Castelli als künstlerischer Leiter das Programm – und er lädt jeden Vormittag zum öffentlichen Gespräch über die laufenden Filme ins Restaurant Kreuz. Funktionieren diese Publikumsgespräche? Was bewegt die Schweizer Filmwelt aktuell? Und welche Filme sind an dieser 59. Ausgabe besonders aufgefallen? Ein Bilanzgespräch mit Ruth Baettig von filmexplorer.ch und der Film- und Kulturwissenschaftlerin Marcy Goldberg, direkt von den Solothurner Filmtagen.
Wed, 24 Jan 2024 - 110 - Putin, Trump und Co.: Sylvia Sasse über verkehrte Wahrheiten
Putin bekämpft in der Ukraine ein faschistisches Regime. In den USA haben Demokratiefeinde Trump die Wahl gestohlen. Propagandalügen, welche die Realität ins Gegenteil verkehren, haben Konjunktur. Felix Münger unterhält sich mit der Slawistin Sylvia Sasse über die toxische Mechanik des Lügens. Die Wahrheit ins Gegenteil zu verkehren, sei bei autoritären Machthabern seit jeher beliebt, sagt Sylvia Sasse. Sie ist Autorin eines aktuellen Essays zum Thema. Verdrehungen und Fakenews würden sich zunehmend auch in liberale Demokratien fressen. Dies verunsichere die Menschen und untergrabe zuletzt deren Vertrauen in ihre demokratisch gewählten Exponentinnen und Exponenten. Es gelte, Verkehrungen zu entlarven, zu benenen – und ihnen so ihre Wirkung zu nehmen. Buchhinweis: Sylvia Sasse: Verkehrungen ins Gegenteil. Über Subversion als Machttechnik, Matthes und Seitz 2023.
Wed, 10 Jan 2024 - 109 - Auch Kinderschmerzen können gross und stark sein
Schmerzen bei Kindern waren lange kein Thema. Bis in die 1980er Jahre wurden Babys ohne Narkose operiert. Man sprach ihnen das Schmerzempfinden ab. Noch heute findet der Schmerz von Kindern wenig Beachtung. Helen Koechlin erforscht den Schmerz der Kleinen und den blinden Fleck der Erwachsenen. Jedes Kind hat Schmerzen. Hin und wieder. Das wissen wir. Weniger bekannt ist dagegen, dass auch bei Kindern nicht jeder Schmerz nachlässt. Jedes vierte Kind leidet unter chronischen Schmerzen – oft nicht diagnostiziert und nicht behandelt. Selbst Fachleute unterschätzen den Schmerz der Kleinen. Im Schnitt vergehen zwei Jahre, bis ein Kind in die Schmerzsprechstunde kommt. Dann hat sich das Leiden schon tief eingegraben: Im Gehirn, im Alltag, in der Psyche. Ängste, Depression und Suizidalität gehen oft mit dem Schmerz einher. Und der Schmerz bleibt oft bis ins Erwachsenenalter.
Wed, 27 Dec 2023 - 108 - Davos: Ferien vom Antisemitismus?
Seit 150 Jahren ist Davos Feriendestination. Genauso lang zieht der Kurort auch jüdische Gäste an: aus dem In- und Ausland. Rund 4'000 jüdisch-orthodoxe Menschen suchten diesen Sommer Erholung in Davos. Doch es kam zu Knatsch und Negativschlagzeilen wie: «Juden unerwünscht». Was steckt dahinter? Jonathan Kreutner vom jüdischen Verband der Schweiz SIG ist schockiert: Pauschalisierende Posts werfen «den» jüdischen Gäste Littering vor. Davos stieg aus dem Vermittlungsprojekt des SIG aus, das Verständnis schaffen wollte zwischen jüdisch-orthodoxen Gästen aus dem Ausland und Davoser Hoteliers. Was sagt Landammann Philipp Wilhelm dazu? Er steht für ein weltoffenes Davos. Die Geschichte von Davos ist schillernd: Juden und Jüdinnen fanden hier Erholung von Tuberkulose und Antisemitismus. Zugleich war Davos Hotspot der Nationalsozialisten. Nicole Freudiger befragt SRF-Religionsexpertin Judith Wipfler über die Hintergründe. In der Sendung zu hören sind: * Jonathan Kreutner (Jg. 1978), Davos-Tourist seit Kindertagen, seit 2009 Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG, Mit-Initiant des Vermittlungsprojekts Likrat Public in Schweizer Ferienorten; Doktorat zum Verhältnis Schweiz Israel * Landammann Philipp Wilhelm (Jg. 1988), Architekt ETH, Gemeindepräsident Davos, Mitglied Grosser Rat GR; Mitbegründer des Vereins IG offenes Davos, der sich insbesondere für Geflüchtete einsetzt; engagiert für ein soziales, grünes und kulturell lebendiges Davos
Wed, 20 Dec 2023 - 107 - Fotos mit Haltung. Pia Zanetti im Gespräch
Sie war eine der ersten Frauen, die in der Schweiz die Fotografie zum Beruf machten. Und Pia Zanettis Fotos erzählen immer Geschichten: tragische, lustige, menschliche. Ein neues Buch liefert einen Überblick über das Werk der Fotografin, die dieses Jahr ihren 80. Geburtstag feierte. Der Schalk blitzt in ihren Augen. Pia Zanetti hat Humor. Oft genug entstehen die Geschichten, die ihre Bilder erzählen, weil die fotografierten Menschen auf Zanetti reagieren. Seit über 60 Jahren fotografiert sie auf der halben Welt, mit einem offenen Blick für die Situation der Ärmsten. Einen Überblick über ihr Gesamtwerk liefert nach der Ausstellung in der Schweizer Fotostiftung 2021 nun das Buch «Pia Zanetti», erschienen im Verlag Galleria Edizioni Periferia. Warum Neugierde alles ist und wieso ihr digital mehr liegt als analog, darüber spricht Pia Zanetti im Kultur-Talk.
Wed, 13 Dec 2023 - 106 - Mal tief Luft holen. Eine kulturelle Annäherung an die Pause
Zeit für eine Pause? Zu oft nehmen wir uns nicht die Zeit dazu. Dabei passiert in der Pause so viel – im Sport, im Theater, am Mittag. «Ohne Pausen gibt es keine Musik. Und das sagt doch schon alles», sagt Autorin Andrea Gerk. Eine Annäherung an die unterschätzte Unterbrechung des Alltäglichen. Wir alle brauchen sie, wie die Luft zum Atmen: die Pause. Ob in der Schule, oder am Mittag, ob die berühmte Rauchpause, im Theater, die Kunstpause – die Pause scheint nichtig und kann doch alles sein. In ihr werden Ideen gesponnen, Freundschaften geknüpft, Körper und Seele regeneriert. Die Pause ist meist völlig unterschätzt. Und immer wieder scheitern wir am Pausemachen. «Das kleine Glück dazwischen» nennt die Autorin und Moderatorin Andrea Gerk die Pause. Sie nähert sich ihr in essayistischen Betrachtungen. Andrea Gerk ist bei Noëmi Gradwohl zu Gast im Kultur-Talk. Andrea Gerk und Moni Port: «Pause! Das kleine Glück dazwischen». Kein und Aber Verlag 2023.
Wed, 29 Nov 2023 - 105 - Vernünftig diskutieren
Der Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider vermisst vernünftige Debatten mit rationalen Argumenten. Wir hätten verlernt, auf Fakten basierend zu diskutieren, sagt er. In diesem «Kultur-Talk» gibt er Tipps fürs kluge Streitgespräch. «Filterblase», «Shitstorm», «Verschwörungstheorie», «gespaltene Gesellschaft». Das sind Begriffe, die in letzter Zeit oft fallen, wenn es um unsere Debattenkultur geht. Die Liste lässt sich problemlos erweitern – sogar um Wörter, die eigentlich aus dem Militär stammen: «Meinungskrieg» zum Beispiel oder «verhärtete Fronten». Haben wir verlernt, uns ohne Kriegsrhetorik miteinander auszutauschen, andere Meinungen zuzu- oder uns selbst auch einmal umstimmen zu lassen? Haben wir verlernt, vernünftig miteinander zu diskutieren? Der Schweizer Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider meint: Ja. In seinem neuen Sachbuch «Die Kunst des klugen Streitgesprächs» widmet er sich unserer desolaten Debattenkultur. So zelebrierten wir extreme Einzelfälle oder sähen Zusammenhänge, wo es gar keine gebe. Im «Kultur-Talk» erklärt Schneider, auf welch zweifelhaften Wegen unsere Meinungen überhaupt zustande kommen, wie sehr Menschen ihr eigenes Wissen überschätzen – und woran man merkt, dass eine Diskussion mit jemandem vergeudete Zeit ist. Buchangaben: Reto U. Schneider: «Die Kunst des klugen Streitgesprächs. Wer diskutieren will, sollte diese Regeln kennen – Ein Crashkurs in Vernunft». 160 Seiten. Kösel-Verlag, 2023.
Wed, 15 Nov 2023 - 104 - Neue Bührle-Ausstellung im Kunsthaus Zürich
Die Kritik war laut, als im Herbst 2021 die Bilder aus der Sammlung des Waffenhändlers Emil Bührle erstmals im Kunsthaus Zürich ausgestellt wurden. Zwei Jahre später wird die neue, überarbeitete Ausstellung eröffnet. Ist nun alles anders und besser? Mit der Bührle-Sammlung schlitterte das Kunsthaus in die Krise. Für die Leihgaben wurde ein Erweiterungsbau für über 200 Mio. Franken erstellt. Nach wie vor ist unklar, ob unter den Werken Bilder sind, die zurückgegeben werden müssten. Kritik gab es auch an der Ausstellung selbst: Der zeithistorische Kontext von Flucht und Holocaust werde ungenügend vermittelt, Emil Bührle unkritisch als Wohltäter präsentiert. Nach zwei Jahren legt das Kunsthaus unter neuer Leitung nun eine Überarbeitung vor – allerdings wieder begleitet von Misstönen. Der wissenschaftliche Beirat, der Unabhängigkeit hätte garantieren sollen, trat kurz vor der Eröffnung geschlossen zurück. SRF-Kunstredaktorin Ellinor Landmann schätzt die neue Ausstellung ein.
Fri, 03 Nov 2023 - 103 - Philanthropie: «Gutes tun oder es besser lassen?»
Die Bevölkerung in der Schweiz ist überdurchschnittlich spendefreudig, das gesellschaftliche Engagement von Freiwilligen kann sich sehen lassen, und zahlreiche potente Stiftungen schütten Geld aus, wo es fehlt. Doch die Philanthropie ist auch mit Kritik konfrontiert. «Gutes tun oder es besser lassen?» – Philanthropie neu denken «Es gibt nichts Gutes. Ausser man tut es!» Das Zitat von Erich Kästner ist aktuell in Zeiten von Krieg, Krisen und menschlicher Not. Gefragt sind Spenden, Stifter, Gönnerinnen und Freiwillige. Doch gerade grosse Geldgeber werden kritisiert: Sie würden Macht mit Geld ausüben, das sie nicht selbst erarbeitet hatten, entzögen die Verteilung einem demokratischen Prozess und optimierten Steuern. In einem neuen Buch «Gutes Tun oder es besser lassen? Philanthropie zwischen Kritik und Ankerkennung», herausgegeben von Georg von Schnurbein, werden neue Perspektiven auf ein altes Engagement entwickelt. Buch: Georg von Schnurbein (Hrsg.): Gutes tun oder es besser lassen? Philanthropie zwischen Kritik und Anerkennung. Christoph Merian Verlag. 2023.
Wed, 01 Nov 2023 - 102 - Slowenien: Kleines Land, grosse Literatur
Slowenien ist das Gastland an der Frankfurter Buchmesse. Mit seinen nur zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern hat es die dichteste literarische Produktion Europas. Im Gespräch mit Felix Münger sagt der slowenische Literat Aleš Šteger, warum sein Land seine Existenz der Literatur verdanke. Slowenien stand bis zur Unabhängigkeit 1991 stets unter Fremdherrschaft: Habsburger, Königreich Jugoslawien, Besetzung, Tito-Jugoslawien. Dass sich dennoch eine slowenische Identität herausbildete, verdankt Slowenien laut Aleš Šteger der gemeinsamen Sprache, die Autorinnen und Autoren zwischen Buchdeckeln bannten. Die Dichtung ist für das slowenische Selbstverständnis noch immer zentral. Entsprechend grosszügig ist die staatliche Förderung. Im Ausland ist die slowenische Literatur noch immer wenig bekannt. Die Buchmesse bietet die Gelegenheit, sie endlich zu entdecken.
Wed, 18 Oct 2023 - 101 - Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse erhält den Nobelpreis
Gestern wurde in Stockholm der Literaturnobelpreis 2023 vergeben. Gewonnen hat ihn der norwegische Autor Jon Fosse. Wir stellen den Preisträger und sein Werk im Gespräch mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel und Klaus Müller-Wille, Professor für Nordische Philologie, vor. Schon länger gilt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis, nun hat er ihn bekommen: Jon Fosse. Die Akademie begründet die Vergabe des Nobelpreises an Jon Fosse damit, dass er in seinen Theaterstücken und Prosawerken «dem Unsagbaren eine Stimme» gebe. Im Gespräch mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel und dem nordischen Philologen Klaus Müller-Wille stellen wir Jon Fosses Schaffen vor und gehen den Fragen nach, was Jon Fosses Literatur ausmacht, welchen Stellenwert seine Romane und Theaterstücke haben und was es denn konkret heisst, «dem Unsagbaren eine Stimme zu geben».
Fri, 06 Oct 2023 - 100 - Herta Müller im Gespräch
Herta Müller gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen überhaupt. Sie ist Literaturnobelpreisträgerin und Autorin erfolgreicher Romane wie «Herztier» und «Atemschaukel». Nun erscheint ein Band mit Reden, Artikeln und Essays, in denen sie sich einmal mehr mit ihrem Lebensthema befasst. Und dieses Thema ist die Diktatur. 1953 als Kind Banater Schwaben in Rumänien geboren, gerät sie bald in Konflikt mit dem kommunistischen Regime Nicolai Ceausescus. Gleichzeitig überwirft sie sich mit ihren Banater Landsleute, deren Schweigen über die NS-Vergangenheit sie nicht mittragen will. Schreibend beginnt sie, sich mit sich und ihrer Situation auseinanderzusetzen, bis sie schliesslich Rumänien verlässt. Doch auch im Westen ist der Schrecken nicht vorbei. Eine Verleumdungskampagne führt dazu, dass sie sich auch hier wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, eine feindliche Agentin zu sein. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier verrät Herta Müller, wie sie mit ihren Diktatur-Erfahrungen zurechtkommt. Und warum sie das Thema immer noch nicht ad acta legen kann. Buchangaben: Herta Müller. Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Hanser Verlag, 2023.
Wed, 04 Oct 2023 - 99 - Schneller, höher, lauter?
Musikwettbewerbe sind in der Kritik. Es würden nur «sportliche» Leistungen honoriert. Stimmt das? Klar, gebe es so genannte «Wettbewerbs-Typen», sagt die Geigerin und Antje Weithaas. Jene, die ihr Instrument virtuos beherrschen, aber «kalt» spielen. Ein Musikwettbewerb sollte seine Kandidat:innen auch künstlerisch herausfordern, sagt sie. Das geht auch, wie ein Wettbewerb in Hannover zeigt. Für die Sängerin Mara Maria Möritz sind Wettbewerbe eine gute Vorbereitung, im Berufsalltag bestehen zu können. Aber auch sie, die gerade ihr Masterdiplom an der HKB absolviert hat, blickt kritisch auf Musikwettbewerbe.
Wed, 20 Sep 2023 - 98 - Wie Gott im Parlament mitmischt
Aus religiöser Überzeugung gegen ein neues Gesetz zur erleichterten Sterbehilfe sein oder Gott um einen Auftrag fürs Parlament anfragen. Solche Einflüsse des persönlichen Glaubens von Politikerinnen und Politikern untersucht Vanessa Kopplin und stellt fest: Religiosität kommt in jeder Partei vor. Politische Entscheide sind von persönlichen Überzeugungen und Werten beeinflusst. Dass Religiosität auch eine Rolle spielen kann, liegt auf der Hand. Welche Konsequenzen hat dies und passiert es bewusst oder unbewusst? Die Politik- und Religionswissenschaftlerin Vanessa Kopplin untersuchte anhand qualitativer Interviews den Einfluss von Religiosität auf politische Entscheide. Sie führte Gespräche mit rund 50 Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich und stellt fest: Religiosität kommt bei Mitgliedern aller Parteien vor.
Tue, 12 Sep 2023 - 97 - Gesprächsrunde vom 80. Internationalen Filmfestival Venedig
Sicher hätten sich die Verantwortlichen des Filmfestivals Venedig eine glanzvollere Jubiläumsausgabe gewünscht: Wegen des Schauspieler:innenstreiks in Hollywood fehlten viele Stars auf dem roten Teppich. Trotzdem ist das Festival auch dieses Jahr eine Art Oscar-Startrampe. Zu reden gaben im Vorfeld auch die Einladungen von Roman Polanski, Woody Allen und Luc Besson, alle waren in der Vergangenheit mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert. Einige Misstöne also gab's im Vorfeld dieses 80. Geburtstags des ältesten Filmfestivals der Welt. Im Zentrum der «80. Mostra Internationale d'Arte Cinematografica» aber steht wie immer der internationale Wettbewerb, in dem auch trotz des Streiks einige grosse Kisten sind. Was das Festivalprogramm an Überraschungen bietet und was sonst für Diskussionen sorgt, darüber diskutiert in Venedig Filmredaktorin Brigitte Häring mit den beiden deutschen Kolleg:innen, der Filmjournalistin Anke Leweke und dem Filmjournalisten Peter Claus.
Wed, 06 Sep 2023 - 96 - Schweiz, wie geht's?
Klimawandel, Krieg in der Ukraine, steigende Heizkosten und Versicherungsprämien – wie geht die Schweizer Bevölkerung damit um? Wie ist die allgemeine Stimmung in der Schweiz? Überwiegen die Sorgen oder dominiert die Zuversicht? Eine neue Studie gibt umfassend Antwort. Im Auftrag der SRG hat das Forschungsinstitut gfs.bern eine breit angelegte Befragung der Schweizer Bevölkerung zu ihrem Befinden durchgeführt. Über fünfzigtausend Interviews wurden geführt, um ein aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Gesellschaft zu erhalten. Ist die Schweiz eher von glücklichen Menschen bewohnt oder dominieren Sorgen unser Leben? Der «Kultur-Talk» mit Studienleiter Urs Bieri gibt detaillierten Einblick in die Gefühlslagen der Schweizer Bevölkerung.
Wed, 23 Aug 2023 - 95 - Kultur-Talk vom 76. Filmfestival in Locarno
Auch das 76. Filmfestival von Locarno hat die Auswirkungen des Streiks der US-amerikanischen Schauspielerinnen und Schauspieler zu spüren bekommen. Aber die im Vergleich zur Konkurrenz in Venedig stets geringere Stardichte hat sich dadurch als Vorteil erwiesen. In Locarno zählen die Filme. Oder? Für den scheidenden Festivalpräsidenten Marco Solari ist diese 76. Ausgabe des Filmfestivals von Locarno die letzte. Für den römisch-schweizerischen künstlerischen Direktor Giona A. Nazzaro die dritte. Der Streik der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft hat sich als «Last minute»-Knacknuss erwiesen, einige der längst gesetzten Filme müssen sich ohne die medienmagnetische Präsenz ihrer Stars bewähren. Wie lässt sich der Programmmix in diesem Jahr an? Hat Giona Nazzaro dieses kleinste der grossen Festivals verändert? Und wie solide ist das Gebilde, das Festivalpräsident Marco Solari seiner Nachfolgerin Maja Hoffmann hinterlässt? Darüber redet Michael Sennhauser mit der Schweizer Filmjournalistin Ruth Baettig von filmexplorer.ch und mit dem freien Berliner Filmjournalist Peter Claus.
Wed, 09 Aug 2023 - 94 - BOOM! Wie Chris Ware mit Comics die Welt erzählt
Chris Ware nimmt sich Zeit für seine Comics. Rund zehn Jahre dauert es, bis ein neuer erscheint. Dafür sprengen sie dann jeweils jeden Rahmen. Im Kultur-Talk erzählt der US-amerikanische Autor, wie seine Comics entstehen und warum Tolstoi sein Lieblingsschriftsteller ist. Im Jahr 2000 erschien Chris Wares Buch «Jimmy Corrigan», die Geschichte über den klügsten Jungen der Welt. Damit gelang ihm der Durchbruch. Seither gehört Chris Ware zu den einflussreichsten Comcizeichnern und sprengt mit jeder Publikation die Genregrenzen neu. Warum er als Kind Charlie Brown eine Valentinskarte schrieb, was er von seiner Grossmutter gelernt hat und warum die Erinnerung für ihn als Erzähler zentral ist, das alles erläutert Chris Ware im Gespräch. Hinweis: «Chris Ware. Paper Life» Ausstellung im Cartoon Museum Basel (bis 29.10.)
Wed, 19 Jul 2023 - 93 - Simon Jaquemet und electric.film am NIFFF
Am Neuchâtel International Fantastic Film Festival NIFFF stellt der Schweizer Filmemacher Simon Jaquemet («Chrieg», «Der Unschuldige») sein Konzept für ein neuartiges, dezentrales und partizipatives Filmstudio vor. Das Ziel wäre ein transparenterer Zugang zur Filmindustrie für alle. Simon Jaquemet hat mit seinem explosiven Erstling «Chrieg» 2015 frischen Wind in die Schweizer Filmszene gebracht. Nun stellt er am NIFFF ein Produktions-Konzept vor, das von den Erfahrungen der Covid-Jahre geprägt scheint. electric.film, ein dezentrales, partizipatives Filmstudio, das Web-3.0-Technologien nutzen soll, um innovative Ansätze für Entwicklung, Finanzierung, Vertrieb und Publikumsbindung zu schaffen, und damit einen neuartigen, transparenteren Zugang zur Filmindustrie. Wer soll da was produzieren? Und für wen?
Wed, 05 Jul 2023 - 92 - Klassische Musik quo vadis?
Wie geht's der Klassischen Musik? Erreicht sie das Publikum? Welches Publikum? Und wie reagieren die Veranstalter auf ein verändertes Nutzerverhalten? Darüber sprechen in diesem Kultur-Talk Ilona Schmiel, Intendantin der Zürcher Tonhalle, und Hiromi Gut, Leiterin von Guerillaclassics. Was haben Veranstalter aus Corona gelernt? Zwar sind die Hörer:innen nach der Pandemie weitgehend wieder in die Konzerte zurückgekehrt, doch der vorübergehende Schwund hat auch deutlich gemacht, dass das Publikum nachhaltig umworben werden will und neue Schichten erschlossen werden müssen, um einem langsamen Ausbluten zu entgehen. Dabei scheinen massgeschneiderte individuelle Konzertangebote das Gebot der Stunde, gleichzeitig gibt es einen klaren Trend zu mehr Kurzfristigkeit, denn spontane Konzertbesuche werden attraktiver.
Wed, 21 Jun 2023 - 91 - Ein neuer Blick auf die koloniale Vergangenheit der Schweiz
Historiker Georg Kreis hat zusammengetragen, wie vielfältig Schweizerinnen und Schweizer am Kolonialismus beteiligt waren. Im Kultur-Talk spricht er über die koloniale Vergangenheit und ihre Konsequenzen auf die Gegenwart. Kaufleute, Missionarinnen, Söldner oder Auswandererinnen. Schweizerinnen und Schweizer waren auf vielfältige Weise eingebunden ins koloniale System. Das zeigt der Historiker Georg Kreis in seinem neusten Buch. So gab es etwa den Plan, in Amerika Land zu kaufen für einen 23. Kanton, um die Armut in der Schweiz zu lindern. Waren Schweizerinnen und Schweizer also Trittbrettfahrer des Kolonialismus? Welche Rolle spielte der Staat? Und was heisst das für heutige Diskussionen um Rassismus und im Umgang mit der Vergangenheit? Darüber reden wir mit dem Historiker Georg Kreis. Literaturhinweis: Georg Kreis. Blicke auf die koloniale Schweiz. Ein Forschungsbericht. Chronos Verlag, 2023.
Wed, 07 Jun 2023 - 90 - Lebenslanges Lernen
Stete Weiterbildung im Beruf und im Privaten sind heute selbstverständlich. Dennoch kriselt es seit einiger Zeit in der Erwachsenenbildungs-Branche. Wie gehen Anbieter damit um? Veranstaltungen, die früher echte Publikumsmagneten waren, werden kaum noch gebucht. Vor allem bei den Sprachkursen hat sich einiges verändert. Und bei Kursangeboten, die eine Teilnahme über mehrere Wochen oder Monate erfordern. Modernes Lernen ist kurzfristiger, flexibler. Was bedeutet dieses veränderte Publikumsverhalten? Und wie reagieren Veranstalter darauf? Darüber hat Alice Henkes mit Katrin Kraus gesprochen, sie hat den Lehrstuhl für Berufs- und Weiterbildung an der Universität Zürich inne, und mit Pius Knüsel, dem Präsidenten des Verbandes der Schweizer Volkshochschulen.
Fri, 02 Jun 2023 - 89 - Mit Einfacher Sprache zur höheren Literatur
Die Autorin Julia Schoch hat zwei Geschichten in Einfacher Sprache verfasst. Sie ist begeistert von der Idee, «Literatur für alle» zu machen. Im Gespräch erklärt sie, auf welche Probleme sie beim Schreiben in Einfacher Sprache gestossen ist – und wie dieses Experiment in ihren neuen Roman mündete. Rund 800.000 Menschen in der Schweiz zwischen 16 und 65 Jahren sind von einer Leseschwäche betroffen, «Illetrismus» genannt. Damit auch diese Menschen in den Genuss von Literatur kommen können, gibt es zwei Sammelbände in Einfacher Sprache. Ihr Titel: «Lies!». Die deutsche Bestseller-Autorin Julia Schoch hat zwei Kurzgeschichten zu «Lies!» beigesteuert. Dieses Projekt samt den Begegnungen mit von Illetrismus betroffenen Menschen haben sie und ihr Schreiben geprägt. Aus dem Experiment, kurze Texte in Einfacher Sprache zu verfassen, ist schliesslich sogar ihr aktueller Roman entstanden, «Das Liebespaar des Jahrhunderts». Besprochene Bücher: * Hauke Hückstädt (Hrsg.): «Lies! Das Buch. Literatur in Einfacher Sprache». 288 Seiten, Piper 2020. * Hauke Hückstädt (Hrsg.): «Lies! Das zweite Buch. Literatur in Einfacher Sprache». 256 Seiten, Piper 2023. * Julia Schoch: «Das Liebespaar des Jahrhunderts». 191 Seiten, dtv 2023.
Fri, 26 May 2023 - 88 - Kritikerrunde vom 76. Filmfestival Cannes
Das medial sichtbarste und grösste Filmfestival der westlichen Welt läuft mit seiner 76. Ausgabe zu fast schon klassischer Form auf. Und doch ist einiges anders: mehr Frauen im Wettbewerb. Und mehr kritische Stimmen im Vorfeld. Eine kleine Auslegeordnung aus Cannes. Das Filmfestival von Cannes präsentiert dieses Jahr mit Namen wie Wim Wenders (77) oder Ken Loach (86) wieder ein paar seiner ältesten Eigenmarken. Gleichzeitig sind sieben von 21 Filmen im Wettbewerb von Frauen – ein Rekord für dieses Festival, dem sein (zu) kleiner Frauenanteil seit Jahren um die Ohren gehauen wird. Ist das ein Zeichen für Veränderung in der Filmindustrie, wie Festivaldirektor Thierry Frémaux meint? Mit seinen deutschen Kolleginnen Anke Leweke und Katja Nicodemus schaut Filmredaktor Michael Sennhauser ein paar der Filme und die aktuellen Zeichen der Zeit in Cannes genauer an.
Wed, 24 May 2023 - 87 - Auf welchem Boden stehe ich? Mina Hava über ihr Debüt «Für Seka»
In ihrem ersten Roman erzählt die 25-jährige Schweizer Autorin Mina Hava in Bruchstücken von einer jungen Frau, ihrer Familie, den bosnischen Wurzeln und dem Wunsch nach einem Platz in der Welt. In einer Achterbahn der Eindrücke und Gefühle sucht sie dabei im Grossen und Kleinen nach Zusammenhängen. Mina Hava studierte am Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und danach Globalgeschichte und Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich. Sie ist gleichermassen Künstlerin und Forscherin und legte ihren Roman als riesigen Zettelkasten an. Weltpolitik, Wirtschaftsgeschichte, längst vergessene oder überlagerte Konflikte mischen sich darin mit privaten Erzählungen und ergeben faszinierende Muster. Im Gespräch live von den Solothurner Literaturtagen erzählt Mina Hava von der Entstehung und den Hintergründen ihres ersten Romans. Buchhinweis: Mina Hava. Für Seka. 277 Seiten. Suhrkamp Verlag.
Fri, 19 May 2023 - 86 - Hansjörg Schneiders Stadtwanderungen
Der Schriftsteller Hansjörg Schneider ist bekannt als Autor der Hunkeler-Krimis und einiger erfolgreicher Theaterstücke wie «Sennetuntschi». In seinem neusten Buch «Spatzen am Brunnen» macht sich der 85-Jährige auf Wanderungen durch Basel und erinnert sich unterwegs an sein Leben und sein Schaffen. Die Kreise sind kleiner geworden, in denen sich der Schriftsteller mittlerweile bewegt. Nach zwei Spitalaufenthalten zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 beschränken sie sich noch auf eine lange Strasse durchs Basler St. Johann-Quartier und auf die beiden angrenzenden Plätzen. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Geschichten, Erkenntnisse, Erfahrungen und Begegnungen Hansjörg Schneider aus diesem kleinen Revier für sein Buch generieren kann. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier geht Hansjörg Schneider seinen Lebensstationen nach und erzählt von einem reichen Künstlerleben voller Aufs und Abs.
Tue, 16 May 2023 - 85 - Allein? Eine gute Gesellschaft!
Alleinsein ist in der Gesellschaft meist negativ konnotiert. Wer allein sei, sei per se unglücklich. Doch stimmt das? Diese Vorstellung trüge, sagt die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Sarah Diehl. Sie ermutigt zu einem aufgeschlosseneren Umgang mit dem Alleinsein. Ist jemand, der viel Zeit allein verbringt, unglücklicher als andere? Machen etliche soziale Verpflichtungen, Erfolg im Job, eine möglichst langjährige Partnerschaft und Familie glücklich? Die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Sarah Diehl hat dazu in ihrem Sachbuch «Die Freiheit, allein zu sein. Eine Ermutigung» (Arche Verlag) eine dezidierte Meinung. Warum sie im Alleinsein einen Grundstein für ein verantwortungsvolles Miteinander und eine wichtige Triebfeder der Reflexion sieht, erklärt sie Noëmi Gradwohl im Kultur-Talk.
Fri, 12 May 2023 - 84 - Die Krönung Charles’ III – eine Zeremonie voller Symbolik
Am 6. Mai wird König Charles III in der Westminster Abbey gesalbt und gekrönt. Das Ritual ist rund 900 Jahre alt. Es spiegelt das Selbstverständnis des Königshauses, das sich explizit auf die biblischen Könige bezieht. Im Kultur-Talk: die Anglistin und christkatholische Theologin Susanne Cappus. Manches wirkt archaisch beim Krönungsgottesdienst der britischen Monarchen. Sie sind die einzigen, die noch gesalbt werden, mit Öl vom Jerusalemer Ölberg. Schwerter, Zepter, goldene Sporen und Reichsapfel kommen zum Einsatz. Den Ritus vollzieht der Erzbischof von Canterbury, das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Der König gelobt, diese Kirche zu beschützen. – Die Theologin und Anglistin Susanne Cappus ist keine Royalistin. Angesichts der miserablen Lebensverhältnisse der Britinnen und Briten sei Kritik am Pomp angebracht. Zudem funkelt in den Kronjuwelen Kolonialgeschichte durch.
Fri, 05 May 2023 - 83 - Das Geld und wir – eine toxische Beziehung?
Es ist überall und doch nirgends – das Geld. Kaum ein Tabuthema ist in unserer Gesellschaft so omnipräsent. Was machen wir mit Geld und was macht Geld mit uns? Die Autorin Mareice Kaiser erzählt ihre eigene Geldgeschichte und trifft Menschen, mit denen sie über Geld spricht. «Wie viel Geld ist genug?» – Das ist eine der Fragen, die die deutsche Journalistin Mareice Kaiser verschiedenen Menschen gestellt hat: vom 85 Jahre alten Pfandflaschensammler bis zum neureichen Selfmade Millionär. Die Portraits dieser Menschen geben einen tiefen Einblick, wie unterschiedlich unsere Gefühle in Zusammenhang mit Geld aussehen können: Scham, Neid, Angst. Aber auch Sicherheit, Glück und Freiheit. Das Buch «Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht» regt dazu an, über die eigene Geldgeschichte nachzudenken und darüber, wie Geld gerechter verteilt werden könnte.
Tue, 02 May 2023 - 82 - Aktuelle österreichische Literatur
Was ist das Spezielle an der aktuellen österreichischen Literatur? Wo kommt sie her und wo geht sie hin? Und wie erklärt sich ihre andauernde hohe Qualität? Anlässlich des österreichischen Auftritts als Gastland an der diesjährigen Leipziger Buchmesse geht der Kultur-Talk diesen Fragen nach. «Meaoiswiamia». Mit diesem wohl am ehesten mit «mehr als bloss wir» zu übersetzenden Motto betont das österreichische Gastland an der diesjährigen Leipziger Buchmesse seine Diversität. Und tatsächlich zeigt sich Österreich in Leipzig als Land mit einer mehrsprachigen und breitengefächerten Literatur. Der Kultur-Talk mit der Leiterin des österreichischen Auftritts Katja Gasser und dem Schriftsteller und ORF-Literaturredakteur Peter Zimmermann zeigt auf, was aktuelle österreichische Literatur ist, wer sie auf welche Art und Weise betreibt und wie der Weg zu diesem «Meaoiswiamia» verlaufen ist. Buchangaben: Karin Peschka. Dschomba. Otto Müller Verlag, 2023. Robert Prosser. Verschwinden in Lawinen. Jung und Jung, 2023.
Wed, 26 Apr 2023 - 81 - Wie weiter? Die Ethnologie im Rampenlicht
Spätestens seit der Debatte zu den Benin-Statuen steht die Ethnologie im Rampenlicht wie nie zuvor: Das ist gut so – meint Anna Schmid, Direktorin des Basler Museums der Kulturen, die froh ist um die plötzliche Aufmerksamkeit und den Beginn längst fälliger Diskussion – auch in der Öffentlichkeit. Die Ethnologie abschaffen, weil sie im Fahrwasser des Kolonialismus entstanden ist? Oder ihr endlich einen gebührenden Stellenwert beimessen, gerade weil sie sich seit je her mit der Erforschung fremder Kulturen beschäftigt und dabei über ein Wissen verfügt, das für eine sinnvolle Dekolonialisierung dringend nötig ist? Aspekte wie z.B. kulturelle Aneignung sind Themen, die zur Geschichte der Ethnologie gehören, aber erst seit Emanuel Macrons Rede über die Rückgabe afrikanischer Objekte nun auch die breite Öffentlichkeit erreicht haben.
Wed, 19 Apr 2023 - 80 - Ist Russland ein «Reich des Bösen»?
Der Ukraine-Krieg verstört. Auch weil die Fronten zwischen Russland und dem Westen so sehr verhärtet sind, wie schon lange nicht mehr. In dieser Konfrontation zeige sich ein historisches Grundmuster, sagt der Osteuropa-Historiker Manfred Hildermeier im Gespräch mit Felix Münger. Als 1991 der Kalte Krieg endete, schien es möglich, dass Russland und der Westen nun zu Partnern würden. Ein Trugschluss. Heute macht vielmehr die Vorstellung die Runde, Russland sei «ein Reich des Bösen». Aus russischer Sicht sei der Westen stets beides gewesen – Vorbild und Feindbild, erklärt Manfred Hildermeier, emeritierter Professor an der Universität Göttingen. Zuwendung und Abschottung hätten sich abgewechselt, bisweilen auch recht schnell. Besteht also Hoffnung auf einen Wandel? Buchhinweis: Manfred Hildermeier: Die rückständige Grossmacht – Russland und der Westen, C.H. Beck 2022.
Wed, 12 Apr 2023 - 79 - «Credit Suisse»: Ethische Fragen zur seltsamen Finanzwelt
Die CS machte in 10 Jahren 3 Milliarden Franken Verlust – und bezahlte intern 32 Milliarden an Boni. Kann man das verstehen? Kann überhaupt noch jemand die Finanzwelt verstehen, vielleicht sogar die Banker selbst? Im Gespräch mit Raphael Zehnder macht sich der Wirtschaftsethiker und Theologe Thomas Wallimann (Institut für Sozialethik «ethik22», Mitglied der Ethikkommission der Schweizer Bischöfe und Fraktionschef der Grünen und SP im Nidwaldner Landrat) Gedanken über Risikobereitschaft und Verantwortungsgefühl, über Fairness und Gier, über Ethik und undurchsichtige Finanzprodukte.
Wed, 29 Mar 2023 - 78 - Stadt-Land-Kluft? (2/2)
Der politische Einfluss der Städte ist in der Schweiz kleiner als jener der Landkantone. Gesellschaftlich soll es zwischen Stadt und Land in Zukunft mehr Annäherung geben als auch schon. Die Kluft zwischen Stadt und Land wird hier wie dort beklagt. Die landwirtschaftliche Genossenschaft Fenaco hat sich deshalb vorgenommen, diesen Graben mit einem verstärkten Dialog zwischen der städtischen und ländlichen Bevölkerung zu überwinden. Dafür hat sie 10 Millionen Franken an eine Stiftung überwiesen. Im Stiftungsrat ist Yvonne Koller Renggli, Bäuerin und Bildungsverantwortliche beim Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband. Im Kultur-Talk schildert sie, wie sie den Stadt-Land-Graben wahrnimmt und welche Projekte zu seiner Überwindung lanciert werden.
Wed, 22 Mar 2023 - 77 - Stadt-Land-Kluft? (1/2)
Die bevölkerungsmässig kleinen Landkantone haben in der Schweiz im Vergleich zu den grössten Städten überproportional viel zu sagen. Der politische Einfluss der Städte ist beschränkt, obwohl ihre Mitwirkung in der Verfassung garantiert wird. Nach der letzten Bundesratswahl wurde die Kluft zwischen Stadt und Land beklagt: Ob es sich um Kandidierende der SVP oder der SPS handelte - eine Vertretung vom Land für den Bundesrat kam im Parlament besser an als eine aus der Stadt. Es schien, als hätten die Schwarznasenschafe eine bessere Presse als Unternehmer und Wissenschaftlerinnen in den städtischen Zentren, die auf eine europäische Vernetzung angewiesen wären. Politologe Sean Müller hat die Interessensvertretung der Städte im föderalen System untersucht und zeigt im Kultur-Talk auf, wie es um ihre Vertretung in Bundesbern steht.
Tue, 21 Mar 2023 - 76 - Wie künstliche Intelligenz das literarische Schreiben verändert
Chatbots wie ChatGPT schreiben und kommunizieren mittlerweile wie Menschen. Der Hype ist riesig und doch schwingt die Sorge mit, dass die digitale Schöpfung den Menschen irgendwann überflügelt. Wer braucht noch Schriftsteller, Poeten und Journalisten, wenn auch die künstliche Intelligenz das kann? Hannes Bajohr ist Medien- und Literaturwissenschaftler und Experte für digitale Literatur. Er hat keine Angst vor schreibenden Maschinen und befürchtet auch nicht den bereits vielzitierten Tod des Schriftstellers. Vielmehr sieht er eine Chance für «Co-Creative-Writing», also eine inspirierende Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Im Kulturtalk sprechen wir über Kreativität, neue Ästhetiken und poetische Formen und hören, wie es klingt, wenn Maschinen zu fabulieren beginnen.
Wed, 15 Mar 2023 - 75 - Brennpunkt Amazonas
Der Amazonas ist bedroht und seine indigenen Bewohner:innen mit ihm: Umweltzerstörung und Corona machen ihnen das Leben schwer bis unmöglich. Doch jetzt ist nicht mehr der brasilianische Präsident Bolsonaro am Ruder, sondern Lula da Silva. Könnte das eine Kehrtwende bedeuten? Vor 22 Jahren machte die Ethnologin Ulrike Prinz im Indigenen-Schutzgebiet am Rio Xingu Feldforschung. Als wegen Corona und Präsident Bolsonaros «Gesundheitspolitik» im Amazonasgebiet das grosse Sterben losging, wurde sie eingeladen zum traditionellen Totenfest. Sie traf auf ihre ehemaligen Gastgeber:innen und deren Kinder, die zwischen Tradition und Moderne neue Wege suchen, ideologisch unterstützt vom prominenten indigenen Widerstandskämpfer Ailton Krenak. Grosse Hoffnung setzen die Indigenen auf den neuen Präsidenten Lula da Silva, der ihnen den Schutz des Amazonas versprochen hat. Ulrike Prinz im Gespräch mit Maya Brändli.
Fri, 10 Mar 2023 - 74 - Das kreative Erbe der Schweizer Psychiatrie
Katrin Luchsinger erforscht seit Jahrzehnten die künstlerischen Werke aus psychiatrischen Kliniken der Schweiz. Die Kunsthistorikerin und Psychologin kennt das kreative Schaffen, das in Archiven, Abstellkammern und Akten verstaut ist, wie kaum eine andere. Ein Erbe, das mancher Klinik eine Last ist. Katrin Luchsinger weiss, was Menschen in die Psychiatrie brachte. Damals in den ersten Jahrzehnten der kantonalen psychiatrischen Kliniken zwischen 1850 und 1920. Welche Eigenarten, welche Diagnosen. Sie liest, welche Geschichten ein aus Seegras gestrickter Strumpf, ein hölzerner Zeppelin, ein Revolver aus Brot erzählen. Geschichten von der Sehnsucht nach Würde, Sicherheit und Freiheit. Was treibt Katrin Luchsinger an. Was lässt sie Schätze bergen, deren Wert noch heute nicht allen Klinikdirektoren bewusst ist. Und warum ist die Kreativität der Patienten ab den 1920er Jahren versiegt.
Tue, 07 Mar 2023 - 73 - Franz Hohler als Schriftsteller. Ein Gespräch zum Achtzigsten
Bekannt wurde er als gesellschaftskritischer Kabarettist. Aber Franz Hohler veröffentlicht seit bald 60 Jahren auch literarische Texte. Entstanden ist ein reiches Werk zwischen Realismus und Phantastik. Dieses diskutiert er, anlässlich seines 80. Geburtstages, mit Literaturredaktor Markus Gasser. Die Literatur von Franz Hohler ist alles andere als harmlos. Seine Texte kommen oft im freundschaftlichen Plauderton daher, entgleiten dann aber mit unerbittlicher Konsequenz ins Ungeheuerliche. Immer wieder wird die Natur zur alleszerstörenden Macht. Oder das Unheimliche greift wie die behaarte Hand des Grauens in unseren glatten Alltag hinein. Zugrunde liegt ein gutschweizerischer Realismus, der mit der exzessiven Phantasie des Autors ins Katastrophale getrieben wird. Franz Hohler erzählt über seine Motive und Absichten und hält Anekdoten zur Entstehungsgeschichte einiger Erzählungen bereit. Besprochene Bücher und CDs: Franz Hohler: Die Rückeroberung. Erzählungen. 112 Seiten, btb, 12.90 Franz Hohler: Der Rand von Ostermundigen. Geschichten. 104 Seiten, Wagenbach, 12.90 Franz Hohler: Der neue Berg. Roman. 448 Seiten, btb, 17.90 Franz Hohler: 52 Wanderungen. 288 Seiten, btb, 14.90 Franz Hohler: Der Enkeltrick. Erzählungen. 160 Seiten, Luchterhand, 31.90 Franz Hohler: Rheinaufwärts. 128 Seiten, Luchterhand, 29.90 Franz Hohler: Der Flug nach Milano. Hörbuch als CD, Zytglogge, 29.90
Wed, 01 Mar 2023 - 72 - Kritikerrunde von den 73. Berliner Filmfestspielen
Wie sieht die Berlinale aus, wenn ihr die Festivalkinos wegbrechen und sich die Welt anfühlt wie in den Zeiten des kalten Krieges? Verträgt sich Sean Penns Dokumentarfilm über Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski mit einem Thriller wie «BlackBerry» zu Aufstieg und Niedergang eines Tech-Konzerns? Die Berlinale, das grösste Publikumsfilmfestival der Welt, war einst ein Kind des kalten Krieges und lange eine Verständigungsplattform durch den eisernen Vorhang hindurch. Heute kämpft das Festival mit den Folgen der pandemieveränderten Publikumsgewohnheiten und mit dem Verschwinden langjähriger Festivalkinos. Spiegeln die Filme des Wettbewerbs den Zustand der Welt? Ist da auch Platz für Freude, Kunst und Glamour? Zur Halbzeit der 73. Berlinale diskutiert Michael Sennhauser mit «Zeit»-Redakteurin Katja Nicodemus und Filmjournalist Peter Claus über Zustand und Aussichten der Filmfestspiele.
Wed, 22 Feb 2023 - 71 - Ljudmila Ulitzkaja – ein Gespräch übers Erinnern
In ihrem neuen Essayband «Die Erinnerung nicht vergessen» befasst sich die russische Autorin mit dem persönlichen und politischen Erinnern. Ein Gespräch zu Ljudmila Ulitzkajas 80. Geburtstag an ihrem neuen Wohnort Berlin, übersetzt von ihrer langjährigen Übersetzerin Ganna-Maria Braungardt. Seit einem Jahr lebt Ljudmila Ulitzkaja im Berliner Exil. In Moskau, wo sie den grössten Teil ihres Lebens verbracht hat, ist sie nicht mehr sicher. Jetzt legt sie mit «Die Erinnerung nicht vergessen» ihren zweiten Band mit autobiografischer Prosa vor, in dem sie ihre persönlichen Erinnerungen weitergibt. Zugleich denkt sie über das Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Totalitarismus, über Glaubensfragen und über die Umweltkrise nach, um in ihrem Essay über die verbotene Menschenrechtsorganisation «Memorial» zum Thema «Erinnern» zurückzukehren. Buchangaben: Ljudmila Ulitzkaja. Die Erinnerung nicht vergessen. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt und Christina Links. 190 Seiten. Hanser Verlag, 2023.
Tue, 21 Feb 2023
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