Podcasts by Category
«BuchZeichen» macht Lust aufs Lesen, ist Rettungsring im Büchermeer und bietet gute und intelligente Unterhaltung. «Buchzeichen» stellt Autoren und Büchermenschen vor, erzählt Geschichten aus und über Bücher oder gräbt Perlen aus: Vom Bestseller über die Sportlerbiographie, vom Reisebericht bis zum Klassiker hat alles Platz.
- 497 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Rushdie schreibt über Messerattacke!
«Knife» von Salman Rushdie zeigt einen gezeichneten, aber auch kämpferischen Autor. «Zitronen» von Valerie Fritsch handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom». Und in «Paris-Trilogie» erzählt Colombe Schneck von einem Frauenleben in drei Kurzromanen. Gross war die Spannung vor der Veröffentlichung des ersten Buches des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie nach der Messerakttacke vom 12. August 2022. Und gross war auch der Medienrummel. Aber ganz abgesehen vom Hype rund um den Autor von «Die satanischen Verse» und 22 anderer Bücher ist mit «Knife – Gendanken nach einem Mordversuch» ein berührendes und lebensbejahendes Werk entstanden, das einen zwar verletzten und gezeichneten, aber auch kämpferischen Salman Rushdie zeigt. Und einen Mann, der erst jetzt die grosse Bedeutung der Liebe für sein Leben erkannt hat, wie Michael Luisier meint. «Zitronen», der zweite Roman der österreichischen Autorin Valerie Fritsch, handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom»: Seine Mutter redet ihm ein, er sei krank und schwach, damit sie einen Grund hat, ihn zu pflegen. Doch als er wieder gesund wird, hält sie ihn weiterhin an, rätselhafte Tabletten zu schlucken, die ihn schwach und Müde machen. Für Simon Leuthold ein überaus bildstarkes, eindringliches Buch über eine Familie, in der sich Zärtlichkeit und Gewalt gegenseitig bedingen. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Paris Trilogie » von der französischen Schriftstellerin Colombe Schneck vor. Es geht um ein Frauenleben erzählt in drei Romanen. Die Französin verwebt dabei Persönliches mit Erfundenem ganz in der Tradition von Annie Ernaux, die auch Mutter der Autofiktion genannt wird. Buchhinweise: * Salman Rushdie. Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 256 Seiten. Penguin, 2024. * Valerie Fritsch. Zitronen. 186 Seiten. Suhrkamp, 2024. * Colombe Schneck. Paris Trilogie. Ein Frauenleben in drei Romanen. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2024.
Tue, 23 Apr 2024 - 496 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Anpassung um jeden Preis?
Mareike Fallwickl spielt in «Und alle so still» das Szenario durch, dass die Frauen alle Arbeit ruhen lassen. «Die Zeit im Sommerlicht» von Ann-Helén Laestadius schildert das Los indigener Kinder in Skandinavien. Und Martin Suter wartet mit einem neuen Krimi auf, in dem alles so ist, wie gehabt. «Und alle so still» der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl handelt von einem weltweiten Care-Aufstand. Sämtliche Frauen legen sich hin und tun nichts mehr, weil sie schlichtweg zu erschöpft sind. Natürlich bricht sofort Chaos aus: Niemand kümmert sich um Alte, Kinder und Kranke. Und die Männer? Sie versuchen mit Gewalt, die Frauen dazu zu zwingen, weiter zu rackern wie bisher. Ein aufwühlendes Gedanken-Experiment, findet Katja Schönherr. «Die Zeit im Sommerlicht» von Ann-Helén Laestadius bewegt André Perler. Der Roman handelt von einem kaum bekannten dunklen Kapitel in der jüngeren Geschichte Schwedens: von den Nomadenschulen. In diesen Internaten in Nordschweden wurden jahrzehntelang Kinder samischer Rentierzüchter unter Anwendung psychischer und physischer Gewalt brutal aufs Schwedisch-Sein getrimmt – mit schweren Folgen für das Leben der Betroffenen. «Allmen und Herr Weynfeldt» - so heisst die mittlerweile siebte Episode aus der Krimireihe des Schweizer Erfolgsautors Martin Suter. Im Zentrum steht erneut der chronisch blanke Detektiv Allmen. Dieses Mal ermittelt er in einem Kunstraub im Zürcher Reichenmilieu. Der neue Suter biete die gewohnte leicht verdauliche Unterhaltung, sagt Felix Münger. Wer allerdings von einem Krimi ein gewisses Tempo, überraschende Wendungen oder gar eine Prise Action erwarte, liege damit falsch. Buchhinweise: * Mareike Fallwickl. Und alle so still. 368 Seiten. Rowohlt, 2024. * Ann-Helén Laestadius. Die Zeit im Sommerlicht. Aus dem Schwedischen von Maike Barth und Dagmar Missfeldt. 475 Seiten. Hoffmann und Campe, 2024. * Martin Suter. Allmen und Her Weynfeldt. 217 Seiten. Diogenes, 2024.
Tue, 16 Apr 2024 - 495 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Von Menschen und Mäusen
«Das Gras auf unserer Seite» von Stefanie de Velasco, «Klarkommen» von Ilona Hartmann und das soeben mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete «Minihorror» von Barbi Markovic sind die Bücher am Literaturstammtisch diese Woche im BuchZeichen. Stefanie de Velascos Roman «Das Gras auf unserer Seite» handelt von drei Freundinnen. Keine von ihnen hat je einen Kinderwunsch verspürt. Was sie hingegen alle spüren, ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft. Immer wieder müssen sie Stellung dazu beziehen, ob sie nicht endlich einmal Kinder kriegen wollen. Dann wird eine von ihnen schwanger. Ungewollt. Wird sie das Kind behalten? «Das Gras auf unserer Seite» ist ein literarisches – und zugleich sehr unterhaltsames – Beispiel dafür, wie sich Frauen permanent zum Muttersein verhalten müssen. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr bringt es mit an den Stammtisch. Ein junger Mensch zieht fürs Studium in die Grossstadt und verspricht sich ein aufregendes Leben: die Jugend auskosten, Party machen, Menschen kennenlernen, viel erleben. Kaum etwas davon tritt ein. Die Erzählstimme realisiert, dass das Leben an sich doch eher langweilig ist, auch weil sie sich selbst im Weg steht. Ilona Hartmann beschreibt das Erwachsenwerden der Millennial-Generation von der Schattenseite her. Für Simon Leuthold ein treffsicher geschriebenes Buch über das jugendlich-wehleidige Lebensgefühl, dass man gerade wahnsinnig viel Wichtiges verpasst, nicht darüber hinwegkommt – und ganz sicher nicht selbst schuld daran ist. Der Tipp der Woche stammt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Minihorror» von Barbi Markovic. Darin geht es um Mini und Miki, die allerlei Horrorgeschichten erleben. Wie in einem Comicheft werden kurze und zum Teil reichlich abstruse Anekdoten erzählt, die davon handeln, wie zwei nette Menschen (oder vielleicht auch Mäuse, wer weiss,) versuchen, mit den Zumutungen des Alltags klarzukommen. Buchhinweise: * Stefanie de Velasco. Das Gras auf unserer Seite. 250 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024. * Ilona Hartmann. Klarkommen. 192 Seiten. park x ullstein, 2024. * Barbi Markovic. Minihorror. 186 Seiten. Residenz, 2023.
Tue, 09 Apr 2024 - 494 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Starker Bücher-Frühling
Elizabeth Strout erzählt eine komplexe Familiengeschichte mit grosser Leichtigkeit. Elmore Leonard nimmt uns mit in den Wilden Westen, wo auf Kugel komm raus geballert wird. Und auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen alles Bücher, die einen guten Lesefrühling garantieren. «Am Meer» von Elizabeth Strout handelt von Lucy Barton, einer rund 70-jährigen Schriftstellerin, die mit ihrem Ex-Mann von New York City nach Maine zieht, in ein Haus am Meer, um der Pandemie zu entkommen. In der Einsamkeit blickt sie auf ihr Liebesleben zurück und sorgt sich um ihre längst erwachsenen Töchter. Elizabeth Strout gelinge es, diese komplexe Familiengeschichte in einer einzigartigen Leichtigkeit zu erzählen, meint SRF-Literaturredaktorin Jennifer Khakshouri. Warum nicht wieder einmal einen Western lesen? So wie früher? Die Gelegenheit bietet aktuell der packende Roman «Letztes Gefecht am Saber River» des US-Amerikaners Elmore Leonard. Der 1959 erschienene Roman liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor. Die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs spielende Geschichte habe alle Ingredienzien des klassischen Testosteron-Abenteuers im Wilden Westens. Aber nicht nur, findet Felix Münger. Gerade die Frauenfiguren und die Geschlechterrollen seien überraschend modern dargestellt. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König die fünf Bücher vor, die auf der aktuellen SRF-Bestenliste im April stehen. Alle fünf Titel seien ausnehmend gelungene Page-Turner, die jeglichen Anflug von Frühlingsmüdigkeit mit einem Wisch hinwegfegen würden. Buchhinweise: * Elizabeth Strout. Am Meer. Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth. 288 Seiten. Luchterhand, 2024. * Elmore Leonard. Letztes Gefecht am Saber River. Aus dem Englischen von Florian Grimm. Liebeskind, 2024. * Gaea Schoeters. Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. 256 Seiten. Zsolnay, 2024. * Iris Wolff. Lichtungen. 256 Seiten. Klett-Cotta, 2024. * Percival Everett. James. 336 Seiten. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser, 2024. * Barbara Kingsolver. Demon Copperhead. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. 846 Seiten. dtv, 2024. * Anne Weber. Bannmeilen. 301 Seiten. Matthes & Seitz, 2024.
Tue, 02 Apr 2024 - 493 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Der Blick zurück
Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar, die deutsche Autorin Slata Roschal und die US-amerikanische Autorin Marie Benedict schauen in ihren neuen Büchern zurück. Es geht um persönliche Erinnerungen oder gesellschaftliche Fragen, jeweils verbunden mit einer individuellen Geschichte. Schon oft wurde der spanische Regisseur Pedro Almodóvar darum gebeten, seine Autobiografie zu schreiben. Bis jetzt ging er nie darauf ein. Aber nun kommt er diesem Wunsch in Ansätzen nach. Mit zwölf Erzählungen, die Einblick geben in sein Leben, Schreiben und Filmemachen. Sie zeigen, wie sehr alle drei Bereiche miteinander verbandelt sind. Texte aus mehreren Jahrzehnten, die von seiner Assistentin Lola García archiviert wurden. Das Buch lese sich wie ein spritziger, frischer Cocktail, der als Trägersubstanz ganz schön viel Pedro Almodóvar enthalte, findet Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Eine junge Frau in einem Hotelzimmer. Das erste Mal seit Jahren ist sie allein verreist. Sie geniesst die Ruhe, sie will nachdenken. Worüber sie nachdenkt? Über ihren anstrengenden und zugleich eintönigen Alltag als Mutter. Stimmt etwas nicht mit mir?, fragt sie sich, wo doch alle Mütter um sie herum scheinbar so glücklich sind. «Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten» von Slata Roschal handelt von einer Frau, die mit ihrem Leben hadert. Ein tristes Thema. Dennoch sei es ein Genuss, dieses Buch zu lesen, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Die britische Biochemikerin Rosalind Franklin hat für die Wissenschaft Bedeutendes geleistet. Dank ihrem Beitrag konnte die menschliche DNA entschlüsselt werden. Die Anerkennung dafür aber bekamen Männer. In ihrem Roman «Das verborgene Genie» erzählt die US-amerikanische Autorin Marie Benedict von einer brillanten Aussenseiterin, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts voll und ganz der Wissenschaft verschrieb und sich dafür gegen alle möglichen Widerstände durchsetzen musste. Spannende Lektüre, die einen aber auch nachdenklich zurücklässt, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Pedro Almodóvar. Der letzte Traum. Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. 224 Seiten. Suhrkamp, 2024. * Slata Roschal. Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten. 170 Seiten. Claassen, 2024. * Marie Benedict. Das verborgene Genie. Aus dem Englischen von Kristin Lohmann. 352 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
Tue, 26 Mar 2024 - 492 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Leben in Bedrängnis
Zwei Romane, die vom gesellschaftlichen Druck auf Individuen erzählen: Von unserem Umgang mit betagten Menschen handelt «Die Arbeiterin» des Franzosen Didier Eribon. Und «Nachbarn» der Afroamerikanerin Diane Oliver schildert die prekäre Lage von Schwarzen in den USA – in den 1960ern wie heute. Der Schriftsteller, Soziologe und Philosoph Didier Eribon schreibt seine Familiengeschichte weiter. «Eine Arbeiterin: Leben, Alter und Sterben» ist das Portrait seiner Mutter. Eine Mischung aus autobiografischem Schreiben und soziologischem Essay. Eribon beschreibt seine Schuldgefühle, nachdem er die Mutter gegen ihren Willen in ein Pflegeheim einwies. Wie er danach ihre nächtlichen Klagen und Telefonate aushalten musste. Von ihrer Verzweiflung und Vereinsamung hörte. Das Buch sei ebenso «gehaltvoll wie fesselnd», sagt Annette König. Schwarze in den USA, die für Emanzipation und Gleichberechtigung einstehen – davon erzählen die Erzählungen im Band «Nachbarn» der 1966 verstorbenen US-amerikanischen Autorin Diane Oliver. So schildert sie etwa einen siebenjährigen Knaben, der als erstes Schwarzes Kind auf eine Schule der Weissen muss. Mit feinen, nüchternen Beobachtungen zeige die Autorin, was Rassismus bedeute, sagt Britta Spichiger. Obwohl die Geschichten in den 1960ern spielen, seien sie noch immer aktuell. Einen Spaziergang durch die Weltliteratur – dies bietet der neue Sammelband «19/21 Synchron global» des Schweizer Literaturwissenschafters Charles Linsmayer. Das Buch versammelt 135 literarische Texte aus verschiedenen Weltregionen. Die thematisch gegliederte Auswahl ermögliche, Unbekanntes zu entdecken. Und dabei zu erfahren, wie unterschiedliche Autorinnen und Autoren zu Urthemen der Menschheit wie Freiheit, Glück oder Natur dachten, sagt Felix Münger. Buchhinweise: * Didier Eribon. Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 240 Seiten. Suhrkamp, 2024. * Diane Oliver. Nachbarn. Aus dem Englischen von Brigitt Jakobeit und Volker Oldenburg. 304 Seiten. Aufbau, 2024. * Charles Linsmayer (Hrsg.). 19/21 Synchron global, ein weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020. 652 Seiten. Th. Gut, 2024.
Tue, 19 Mar 2024 - 491 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Neue niederländische Literatur
Dieses Jahr sind die Niederlande und Flandern Gastland der Leipziger Buchmesse. Auf dem Literaturstammtisch liegen deshalb neue Bücher der Autor:innen Gaea Schoeters, Lize Spit und Mathijs Deen. Hunter White geht auf Grosswildjagd nach einem der selten gewordenen Spitzmaulnashörner. Dafür hat er eine Lizenz zum Töten ersteigert. Was treibt ihn an? Die Suche nach dem Kick? Die flämische Autorin Gaea Schoeters sucht in ihrem Afrika-Roman «Trophäe» Antworten darauf. Sie beleuchtet nicht nur kritisch das Verhältnis Mensch und Natur, sondern auch die Folgen des Kolonialismus. Gaea Schoeters schreibt mit einer Sprachgewalt, die einem die Nackenhaare aufstellt, findet Annette König. Jimmy ist ein hervorragender Schüler. Und er ist einsam. Bis Tristan in sein Leben tritt. Dieser hat einen Krieg und eine Flucht nach Belgien hinter sich. Jimmy erhält die Aufgabe, Tristan durch das Schuljahr zu begleiten. Daraus entspinnt die belgische Autorin Lize Spit eine Geschichte über Freundschaft, Fantasie - und Verzweiflung. Der Roman «Der ehrliche Finder» fesselt einen von Beginn weg, sagt Lea Dora Illmer. März 1995: In einer stürmischen Nacht über der Nordsee gerät ein deutscher Schlepper in Seenot. Die ganze Mannschaft ausser dem Kapitän kann gerettet werden. Ostersonntag, 2016: An der englischen Küste finden zwei Jungen ein Skelett, daneben eine Rettungsweste des deutschen Schleppers, der vor über zehn Jahren in Seenot geraten war. Die sterblichen Überreste des Kapitäns? Kommissar Liewe Cupido übernimmt die Untersuchungen. «Der Retter» ist ein weiterer spannender Fall des sympathischen Ermittlers, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Gaea Schoeters. Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. 256 Seiten. Zsolnay, 2024. * Lize Spit. Der ehrliche Finder. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. 128 Seiten. S. Fischer Verlag, 2024. * Mathijs Deen. Der Retter. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. 384 Seiten. mare Verlag, 2024.
Tue, 12 Mar 2024 - 490 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues aus der Schweiz
«Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus und «Die hängende Säge» von Alice Schmid - dies die aktuellen Bücher am Literaturstammtisch im BuchZeichen. In seinem neuen Buch «Das kleine Haus am Sonnenhang» erzählt der Oltner Schriftsteller Alex Capus von persönlichen Erinnerungen aus seiner Zeit in Italien: Im Seitental eines Seitentals im Piemont kaufte sich Capus als junger Mann ein altes Haus und schrieb dort seinen ersten Roman. Nun nimmt er seine Leserschaft mit auf einen Nostalgietrip in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Er erzählt von alltäglichen Begebenheiten und besonderen Begegnungen. Das Buch, das Britta Spichiger am Literaturstammtisch vorstellt, ist eine Liebeserklärung an das kleine Haus am Sonnenhang, an das Schreiben - und das Leben. Alice Schmid erzählt in ihrem Roman «Die hängende Säge» die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem traumatischen Erlebnis im Jugendsportlager kein Wort mehr sprechen kann. Erst mit einem Sprachaufenthalt in Belgien findet sie langsam zu ihrer Sprache zurück. Nach und nach wird absehbar, dass sie sich immer stärker von ihrem Familienumfeld im bäuerlichen Luzerner Hinterland abnabeln wird. Für Simon Leuthold ein einfühlsam geschriebener Coming-of-Age-Roman darüber, was es heisst, seinen eigenen Weg zu gehen. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt das Bändchen «Mir fällt gerade ein... Ein Sammelsurium» mit Tagebucheinträgen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug. Buchhinweise: * Alex Capus. Das kleine Haus am Sonnenhang. 160 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2024. * Alice Schmid. Die hängende Säge. 176 Seiten. Atlantis Verlag, 2024. * Manfred Krug. »Mir fällt gerade ein« Ein Sammelsurium. 108 Seiten. Kanon, 2024.
Tue, 05 Mar 2024 - 489 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Was aus Freundschaft werden kann
Lana Lux erzählt von Freundschaft, die zur tödlichen Obsession wird. Iris Wolff schreibt über eine, aus der Liebe wird. Und auch die Südkoreanerin Han Kang erzählt von zwei Menschen, die in einer schwierigen Lebensphase langsam zueinander finden. In der Schule ist Philipp ein Einzelgänger. Bis eines Tages Faina aus der Ukraine in seine Klasse kommt. Plötzlich hat er eine Freundin. Jahre später, als Faina schwanger, verschuldet und obdachlos vor seiner Tür steht, nimmt er sie auf. Doch der Preis, den Faina dafür zahlt, ist hoch. Zunächst gängelt Philipp sie nur, dann beschimpft er sie, dann schlägt er sie – wieder und wieder. «Geordnete Verhältnisse» von Lana Lux ist ein Buch, das einen nicht loslässt, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Ein Buch über einen Menschen, der Liebe mit Besitz verwechselt. Iris Wolff erzählt in ihrem neuen Buch «Lichtungen» gewohnt poetisch von Freundschaft und Liebe zu Zeiten der Diktatur und Wende in Rumänien. Lev und Kato kennen sich seit Kindertagen. Sie sind beide Aussenseiter – Lev gehört der deutschsprachigen Minderheit, Kato kommt aus prekären Verhältnissen. Als das Ceausescu-Regime fällt, geht sie sofort in den Westen. Er bleibt – vorläufig. Was ist Herkunft? Kann man sich von seinen Prägungen lösen? Wie geht man mit Verlusten und Verletzungen um? Diese Fragen stellt sich SRF-Literaturredaktorin Franziska Hirsbrunner bei Iris Wolffs Buch, das sie zur Lektüre wärmstens empfiehlt. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Griechischstunden» von Han Kang vor. Die Südkoreanerin ist seit ihrem Bestseller «Die Vegetarierin» im deutschsprachigen Raum bekannt. In ihrem neuen Buch erzählt sie uns nun die Geschichte zweier Menschen, die in einer Lebensphase zueinanderfinden, die von grossen Ängsten geprägt ist. Buchhinweise: * Lana Lux. Geordnete Verhältnisse. 290 Seiten. Hanser Berlin, 2024. * Iris Wolff. Lichtungen. 256 Seiten. Klett Cotta, 2024. * Han Kang. Griechischstunden. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. 204 Seiten. Aufbau, 2024.
Tue, 27 Feb 2024 - 488 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Von Venedig und staatlichem Terror
Schwere Lektüre, aber grosse Literatur: Die Autorin Isabelle Autissier erzählt vom Untergang Venedigs und plädiert leidenschaftlich für unsere Umwelt. Der Schriftsteller Georgi Demidow schildert eindrücklich, was geschieht, wenn man als politischer Gefangener staatlichem Terror ausgeliefert ist. In ihrem neuen Roman «Acqua Alta» erzählt die französische Autorin Isabelle Autissier von einer gigantischen Welle, die Venedig im Jahr 2021 überschwemmt. Und dies, obwohl das Schleusensystem in der Lagune nach mehr als 17 Jahren Bauzeit und vielen Tests hätte funktionieren sollen. Die Folgen sind verheerend. Die Flut fordert viele Menschenleben. Unter den Überlebenden ist Guido Malegatti, der mit dem Boot durch die Ruinen fährt und nach Frau und Tochter sucht. Isabelle Autissier will mit ihrem fesselnden Roman aufrütteln. «Acqua Alta» sei ein leidenschaftliches Plädoyer für unsere Umwelt, findet Annette König. Ohnmächtig dem staatlichen Terror ausgeliefert – was dies für einen Betroffenen bedeutet, erzählt der sowjetische Schriftsteller Georgi Demidow in seinem Kurzroman «Fone Kwas oder Der Idiot». Der 1987 verstorbene Autor schildert darin aufgrund eigener Erfahrungen den Horror des stalinistischen Strafsystems. Das Buch ist nun erstmals auf Deutsch erschienen. Und es sei eine Entdeckung, sagt Felix Münger. Es lasse sich in Vielem auch als Kommentar auf das Leid der Zahllosen lesen, die heute als politische Häftlinge in Kerkern schmachten – in Russland und anderswo. Ganz andere und leichte Lektüre ist der heutige Kurztipp von Britta Spichiger. «Von nahen Dingen und Menschen» ist eine Sammlung kurzer Texte und Geschichten, in denen der deutsche Autor Hanns-Josef Ortheil aus seinem Alltag und von seinen Erinnerungen erzählt. Er weckt damit die eigenen Assoziationen seiner Leserschaft. Unter anderem schreibt er von der Armbanduhr seines Vaters, wie er die Mode entdeckt hat und was seinen alten Freund Peter auszeichnet. Bei der Lektüre fragt man sich unwillkürlich, was die eigenen Erinnerungsstücke sind – und welche Freundin besonders gut zuhören kann. Ein Buch, über dessen Gesellschaft man sich in (fast) jeder Lebenslage freut. Buchhinweise * Isabelle Autissier. Acqua Alta. Aus dem Französischen von Kirsten Gleinig. 208 Seiten. mare, 2024. * Georgi Demidow. Fone Kwas oder Der Idiot. Aus dem Russischen von Irina Rastorgueva und Thomas Martin. 208 Seiten. Galiani, 2023. * Hanns-Josef Ortheil. Von nahen Dingen und Menschen. 288 Seiten. DuMont, 2024.
Tue, 20 Feb 2024 - 487 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Krankheit, Krieg – und das Küssen
Was ist Gesundheit? Diese Frage stellt Paula Fürstenberg in «Weltalltage». Was richtet Krieg in jungen Menschen an? Davon erzählt die wiederentdeckte Novelle «Fall, Bombe, fall» von Gerrit Kouwenaar. Und warum eigentlich küssen wir uns? Nicht nur wegen der Erotik, zeigt ein neues Sachbuch. Was bedeutet es, in einem Körper zu «wohnen», der nicht so funktioniert, wie in unserer Welt eben immer alles zu funktionieren hat? Im Roman «Weltalltage» der deutschen Autorin Paula Fürstenberg geht es um eine junge Frau, die seit ihrer Kindheit an unerklärlichen Schwindelanfällen leidet. Halt gibt ihr immerhin die Freundschaft zu Max – bis er an einer Depression erkrankt. Ist sie jetzt plötzlich die «Gesunde»? Ein kluges Buch über Freundschaft, vor allem aber den Alltag mit einer chronischen Erkrankung, findet Katja Schönherr. Mai 1940. Der siebzehnjährige Niederländer Karel Ruis verfolgt, wie die deutschen Truppen gefährlich näher rücken. Er denkt an Tod und Zerstörung und wünscht sich, dass endlich die Bomben fallen. Dann würde die Gleichförmigkeit der Tage durchbrochen. Dann folgt die Ernüchterung. Die Novelle «Fall, Bombe, fall» von Gerrit Kouwenaar ist ein Antikriegsbuch: Es erzählt von einem Teenager, dem der Krieg die Jugend stielt. Junge Menschen wie Karel Ruis gibt es auch heute leider an vielen Orten. Und deshalb sei das wiederentdeckte Werk aus dem Jahre 1950 auch heute noch aktuell, sagt Annette König. Das Küssen ist Begrüssungsritual, Ausdruck tieferer Zuneigung und sorgte – zumindest in früheren Jahren – etwa in Filmen immer wieder auch für allgemeine Empörung. Der deutsche Kommunikationswissenschafter Hektor Haarkötter unternimmt in seinem laut Felix Münger «kenntnisreichen und augenzwinkernden» Sachbuch «Küssen – eine berührende Kommunikationsart» einen Streifzug durch die Geschichte. Das Küssen, so liest man, war am Anfang oft rein zeremonieller Natur, wurde dann zwischenzeitlich erotisch hoch aufgeladen – um heute allgemein an Bedeutung zu verlieren. Leider. Buchhinweise: * Paula Fürstenberg. Weltalltage, 320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024. * Hektor Haarkötter. Küssen. Eine berührende Kommunikationsart. 288 Seiten. S. Fischer, 2024. * Gerrit Kouwenaar. Fall, Bombe, fall. Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens. 125 Seiten. C.H.Beck, 2024.
Tue, 13 Feb 2024 - 486 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Grosse Themen
Einmal das schlimme Schicksal Schweizer Söldner in «Die rote Mütze» von Daniel de Roulet, einmal die dystopischen Vorstellungen der amerikanisch-chinesischen Schriftstellerin C Pam Zhang in «Wo Milch und Honig fliessen». Das das Angebot am Literaturstammtisch im BuchZeichen. In seinem aktuellen Buch «Die rote Mütze» schildert der Westschweizer Autor Daniel de Roulet das grässliche Los von Schweizer Söldnern in Frankreich zur Zeit der französischen Revolution. Wegen Meuterei werden sie mit Haft, Folter oder gar Hinrichtung bestraft. Verantwortlich für die Menschenschinderei war ein Vorfahre Daniel de Roulets, der nun den Opfern eine Stimme gibt und so gegen die Bluttaten seines Verwandten anschreibt. Ein überaus packender und erhellender Roman, sagt Felix Münger. Dichter Smog, der die Erde umhüllt, und eine globale Hungersnot. Dieser dystopischen Welt entflieht eine junge Köchin in eine mysteriöse Bergkolonie der italienischen Alpen. Dort gedeiht das ausgestorben Geglaubte noch in Fülle: Frische Erdbeeren, Trüffel, bengalische Tiger. Der Roman, den Lea Dora Illmer an den Literaturstammtisch bringt, ist ein sinnliches Meisterwerk, das fragt: Haben wir ein Anrecht auf Genuss in einer Welt ohne Zukunft? Auch der Buchtipp dreht sich um grosse Themen. Er beinhaltet lyrische Gegenmittel gegen Leiden wie Eifesucht, Einsamkeit oder Lebensüberdrüssigkeit. Gemeint ist «Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke», die Michael Luisier anlässlich des bevorstehenden 125. Geburtstag des grossen deutschen Schriftstellers zur Wiederentdeckung empfiehlt. Buchangaben: * Daniel de Roulet. Die rote Mütze. Aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Dartevelle. 168 Seiten. Limmat, 2024. * C Pam Zhang. Wo Milch und Honig fliessen. Aus dem Amerikanischen von Eva Regul. 272 Seiten. S. Fischer, 2024. * Erich Kästner. Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke. 225 Seiten. Neuausgabe. Artium, 2021.
Tue, 06 Feb 2024 - 485 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Vielfältiger Lesestoff
In «Die Entflammten» von Simone Meier geht es um die Erfolgsstory von Vincent van Gogh. In «Der Fluss und das Meer» von Natascha Wodin um das Gefühl von Fremdsein im eigenen Leben. Und in «Nicht ich» von Zeruya Shalev um eine junge Frau, die radikal aufräumt mit Rollen- und Geschlechterklischees. Vincent van Gogh ist weltberühmt. Ohne seine Schwägerin Jo van Gogh-Bonger würden man den Maler wahrscheinlich gar nicht kennen. Über diese Frau, schreibt eine junge Frau ihren ersten Roman, statt sich an ihre Abschlussarbeit in Kunstgeschichte ans Werk zu machen. In «Die Entflammten» verbindet Kulturjournalistin und Schriftstellerin Simone Meier zwei Frauen unterschiedlicher Generationen. Es ist ihr eine Mischung aus Roman und Doku-Fiktion gelungen, die äusserst unterhaltsam ist. Natascha Wodin zählt spätestens seit ihrem Erfolgsroman «Sie kam aus Mariupol» von 2017 zu den bekannten deutschen Autorinnen. Ihr aktuelles Buch ist eine Sammlung von fünf längeren Erzählungen, die gemäss Felix Münger direkt ins Herz gehen und Leserinnen und Leser durch ihre literarische Kraft in Bann ziehen. Wie in anderen Büchern drehen sich die Geschichten des Erzählbandes um Figuren, die seelische Verletzungen in sich tragen. Es geht um das Los einer ehemaligen Nachbarin, die völlig verwahrlost. Oder um die Geschichte der eigenen Mutter, die Suizid begangen hat. Oder um eine verlorene Gestalt in der geschlossenen Psychiatrie. Natascha Wodin rührt mit kristallklarer Sprache ans Innerste. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Erstlingsroman «Nicht ich» von der israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev vor. Das Buch erschien vor dreissig Jahren und nun zum ersten Mal auf Deutsch. Es ist die radikale Innenansicht einer jungen, wütenden Frau. Sie will weder treue Ehefrau noch aufopfernde Mutter sein. Sie will ein selbstbestimmtes Leben. Buchhinweise: * Simone Meier. Die Entflammten. 272 Seiten. Kein & Aber, 2024. * Natascha Wodin. Der Fluss und das Meer. Erzählungen. 192 Seiten. Rowohlt, 2023. * Zeruya Shalev. Nicht ich. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. 208 Seiten. Berlin Verlag, 2024.
Tue, 30 Jan 2024 - 484 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Von Empathie und Einsamkeit
Beide Bücher auf dem heutigen Literaturstammtisch kommen aus Österreich. Monika Helfer erzählt in «Die Jungfrau» von einer intensiven Frauenfreundschaft und vom Umgang mit der Einsamkeit. David Fuchs stellt in seinem aktuellen Buch «Zwischen Mauern» die Frage, ob es bedingungslose Empathie gibt. Zwei Jugendfreundinnen begegnen sich nach einem halben Jahrhundert wieder. Gloria und Monika. Die eine hat Familie und Erfolg als Schriftstellerin, die andere lebt einsam in ihrer riesigen Villa. Monika beschliesst, über Gloria zu schreiben. Das Resultat ist ein schonungsloses, aber liebevolles Portrait einer Frauenfreundschaft – von den sechziger Jahren bis heute. Lea-Dora Illmer stellt Monika Helfers neues Buch «Die Jungfrau» vor. Im Roman «Zwischen Mauern» ist Meta auf der Suche nach Sinn. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin verschlägt es sie in ein Pflegeheim, das kaputtgespart wurde und vor der Schliessung steht. Meta wird dort Nachtwache halten – und zwar am Bett eines sterbenden Mannes, der zu schreien beginnt, sobald es dunkel wird. Als Meta mehr von der Geschichte dieses Mannes erfährt, steht sie vor der Frage: Verdienen auch böse Menschen in ihren letzten Tagen liebevolle Zuwendung? Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Im heutigen Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den neuen Roman der US-Autorin Jeannette Walls, «Vom Himmel die Sterne». Walls erzählt darin die fiktive Geschichte von Sally Kincaid. Eine unerschrockene, starke Frau, die in den 1920-er Jahren erkennt, dass ihre Familie nur überlebt, wenn sie mit illegal selbstgebranntem Whisky handelt. Und so stellt sie – allen gesellschaftlichen Widerständen zum Trotz – ihre eigenen Regeln auf und wird zur «Königin der Kincaid-Schmuggler». Buchhinweise: * David Fuchs. Zwischen Mauern. 223 Seiten. Haymon, 2023. * Monika Helfer. Die Jungfrau. 152 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Jeannette Walls. Vom Himmel die Sterne. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. 448 Seiten. Hoffmann und Campe, 2023.
Tue, 23 Jan 2024 - 483 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Murakami, Tesson, Stermann
«Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» von Haruki Murakami, «Weiss» von Sylvain Tesson und «Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen» von Dirk Stermann – dies die drei aktuellen Bücher am SRF1 Literaturstammtisch. Haruki Murakamis neuer Roman «Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» spielt in zwei Welten: in einer geheimnisvoll-magischen sowie in einer realen Kleinstadt. In der magischen Welt ist vieles anders als in der realen. Die Menschen haben keine Schatten, die Uhren keine Zeiger, und immer wieder trifft man auf Einhörner, die sterben, wenn es schneit. Ein namenloser Erzähler folgt seiner Jugendliebe an diesen merkwürdigen Ort, um später wieder in die reale Welt zurückzukommen. Jennifer Khakshouri, die das Buch auch für den Literaturclub gelesen hat, lobt Murakamis Sprache, zieht sonst aber eine durchzogene Bilanz. Der französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson hat für sein Nature Writing schon bedeutende Preise erhalten, u.a. den Prix Renaudot für «Der Schneeleopard». In seinem neuen Reisebericht «Weiss» schildert Sylvain Tesson die Geschichte einer Alpenüberquerung von Menton nach Triest, über Italien, die Schweiz, Österreich und Slowenien. Eine 1.600 Kilometer lange Expedition zwischen Himmel und Erde. Und ein Buch wie eine Meditation, findet Annette König. Der Buchtipp der Woche schliesslich stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Roman über die österreichisch-amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman «Mir gehts gut, wenn nicht heute, dann morgen» des Schriftstellers und Fernsehkomikers (Willkommen Österreich) Dirk Stermann. Buchhinweise: * Haruki Murakami. Die Stadt und ihre ungewisse Mauer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. 640 Seiten. Dumont, 2024. * Sylvain Tesson. Weiss. Aus dem Französischen von Nicola Denis. 256 Seiten. Rowohlt, 2023. * Dirk Stermann. Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen. 255 Seiten. Rowohlt, 2023.
Tue, 16 Jan 2024 - 482 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn das Leben schwer wiegt
Tijan Sila erzählt von seinen Kriegserinnerungen in Sarajevo, die ihn als Kind geprägt haben. David Bielmann schildert wie seine Grossmutter von ihrer Familie weggenommen wurde. Und Cho Nam-Joo berichtet über eine junge Südkoreanerin, die unter starren gesellschaftlichen Konventionen heranwächst. Der deutsche Autor Tijan Sila wurde 1981 in Sarajevo geboren. Als er 11 Jahre alt war, erlebte er, wie seine Stadt während des Bosnienkriegs eingekesselt wurde. Drei Jahrzehnte später erinnert er sich in seinem autobiografischen Werk «Radio Sarajevo» an das Grauen der Blockade, die knapp vier Jahre dauerte. Für Felix Münger überzeugt das Buch durch seine «radikale Subjektivität»: Tijan Sila schildert durch die Augen des damaligen Kindes, was der permanente Beschuss, der Hunger, die Kälte und die Allgegenwart des Todes in der eingeschlossenen Stadt bedeutete – und dass er damals aufhörte zu weinen. Der Freiburger Autor David Bielmann erzählt im historischen Roman «Angelina. Verlorene Familie» die Geschichte seiner Grossmutter und ihrer Vorfahren und damit ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte. Bielmanns Grossmutter, Angelina, war eines der über 600 Opfer des Hilfswerks «Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute (1926-1973): Sie wurde von ihrer als «Vaganten» verrufenen Familie in Graubünden weggenommen und erlebte in der Folge eine schlimme Odyssee durch Kinderheime und Besserungsanstalten. In eindrücklichen Schlaglichtern schildert Bielmann die Geschichte einer Familie, die von Staat und Gesellschaft immer wieder zutiefst unmenschlich behandelt wurde. Das hat André Perler beeindruckt. Er bringt das Buch an den Literaturstammtisch mit. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah» von Cho Nam-Joo vor. Die Südkoreanerin wurde im deutschsprachigen Raum mit ihrem Weltbestseller «Kim Jiyoung, geboren 1982» bekannt. In ihrem neuen Roman erzählt sie von einem Frauenleben in Südkorea, das geprägt ist von Armut und der Scham, mit 30 noch unverheiratet zu sein. Buchhinweise: * Tijan Sila. Radio Sarajevo. 175 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * David Bielmann. Angelina. Verlorene Familie. 242 Seiten. Zytglogge, 2023. * Cho Nam-Joo. Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah. Aus dem Koreanischen von Jan Henrik Dirks. 288 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024.
Tue, 09 Jan 2024 - 481 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues Glück in der Fremde?
Seit 15 Jahren erzählen Auslandschweizerinnen und -schweizer in der Rubrik «Die fünfte Schweiz» am Sonntagvormittag auf SRF 1 aus ihrem Alltag. Aus diesem Anlass liegen auf dem Literaturstammtisch Bücher über Auswandererschicksale - Werke von Therese Bichsel, Pedro Lenz und Gabrielle Alioth. 1821 wanderten rund 170 Menschen aus Bern und Neuenburg nach Kanada in die Gegend des heutigen Winnipeg aus. Ein verschuldeter Berner Patrizier hatte sie mit grossen Versprechungen angeworben. Doch statt eines besseren Lebens erwartete sie am Roten Fluss bittere Not. Diese wahre Geschichte erzählt die Schweizer Autorin Therese Bichsel in ihrem Roman «Überleben am Red River». Franziska Hirsbrunner gefällt unter anderem der Reichtum an packenden Details, mit dem das Werk aufwartet. Der Schweizer Pedro Lenz hat mit «I bi meh aus eine» im Berner Dialekt die wundersame, aber wahre Geschichte des Hochstaplers Peter Wingeier aus dem Emmental aufgeschrieben. Der Schweizer wanderte im 19. Jahrhundert nach Argentinien aus, nahm eine falsche Identität als Arzt an und gründete sein eigenes Dorf «Romang». Wingeier sei zwar nicht sympathisch, findet Markus Gasser. Doch Pedro Lenz zeichne seine Figur dennoch als «liebe Siech» - und erweise sich dadurch einmal mehr als «unverbesserlicher Menschenfreund». Dass die Schweiz lange Zeit ein Auswanderungsland war, geht gerne vergessen. Die Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die selbst seit 1984 in Irland lebt, erzählt in ihrem Sachbuch «Ausgewandert» Geschichten von Menschen aus sieben Jahrhunderten, welche die Schweiz verliessen und im Ausland das Glück suchten. Felix Münger ist beeindruckt von der Unterschiedlichkeit der Schicksale: Die einen trieb die Leidenschaft in die Fremde, andere die pure wirtschaftliche Not. Und dann gab es Menschen, die glaubten, in der Fremde das Paradies zu finden. Buchhinweise: * Gabrielle Alioth. Ausgewandert. Schweizer Auswanderer aus 7 Jahrhunderten. 193 Seiten. Faro, 2014. * Therese Bichsel. Überleben am Red River, 361 Seiten. Zytglogge, 2018. * Pedro Lenz. I bi meh aus eine. 75 Seiten. Cosmos, 2013.
Tue, 02 Jan 2024 - 480 - Aktuelle Buchempfehlungen: Prosaische Passionen - Kleine Probleme
Kurz vor Silvester liegen auf dem Literaturstammtisch zwei Bücher, die gute Begleiter sind für die Zeit zwischen den Jahren: eine inspirierende Geschichtensammlung von Autorinnen aus aller Welt und ein amüsanter Roman über «Aufschieberitis». Hundertundeine Geschichte von hundertundeiner Frau. Das bietet der Sammelband «Prosaische Passionen» des Manesse-Verlags, herausgegeben von Sandra Kegel. Darin wird zum ersten Mal die ganze weibliche Seite der klassischen Moderne präsentiert. Neben Stars wie Katherine Mansfield oder Virginia Woolf sind auch viele neu- und wiederzuentdeckende grossartige Autorinnen aus der ganzen Welt vertreten. Ein enorm wichtiges Werk auch für die Literatur selbst, die nun endlich in einer ihrer innovativsten Phasen eine weibliche Seite bekommt, findet Michael Luisier. Er richtet diese Anthologie gerade für den Vorlesetag am 2. Januar 2024 auf SRF2 Kultur ein. 31. Dezember. Lars, ein 49-jähriger Grübler, will bis zum Jahreswechsel noch allerhand schaffen: Steuererklärung, Wohnung putzen, das neue Bett für die Tochter zusammenschrauben, die Regenrinne leeren, den Vater anrufen und, ja, das eigene Lebenswerk schreiben Natürlich ist dieses Unterfangen aussichtslos. Aber Lars lesend dabei zuzuschauen, wie er versucht, in wenigen Stunden doch noch alles hinzukriegen – das ist hochamüsant. Literaturredaktorin Katja Schönherr ist begeistert von Nele Pollatscheks Buch «Kleine Probleme». Unterhaltung mit Tiefgang! Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger die Graphic Novel «Sofies Welt» vor. Mit dem gleichnamigen Titel landete der norwegische Autor Jostein Gaarder vor 30 Jahren einen Weltbestseller. Die beiden Illustratoren Vincent Zabus und Nicoby haben die Geschichte nun in die Gegenwart geführt: aus der braven Sofie von einst, die die grossen Philosoph:innen trifft, ist eine kritische geworden, die mit grossen Denker:innen Themen wie Rassismus, Feminismus oder Klimawandel diskutiert. Eine moderne, gelungene, humorvolle und engagierte Version des Originals – empfehlenswert zum Austausch zwischen den Generationen. Buchhinweise: * Sandra Kegel (Hrsg.). Prosaische Passionen. Die weibliche Moderne in 101 Short Storys. 928 Seiten. Manesse 2022. * Nele Pollatschek. Kleine Probleme. 208 Seiten. Galiani Berlin 2023. * Nicoby und Vincent Zabus, nach einem Roman vo Jostein Gaarder. Sofies Welt. Übersetzt von Ina Kronenberger, Hanser 2023.
Tue, 26 Dec 2023 - 479 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Für unter den Weihnachtsbaum
Die Dänin Stine Pilgaard erzählt beglückend von vier Generationen, die unter einem Dach leben. Der Deutsche Deniz Utlu begibt sich in seinem neuen Roman auf eine liebevolle Vatersuche. Und der Mexikaner Jorge Zepeda Patterson schreibt über die Tour de France, die eine düstere Wendung nimmt. Ein Genossenschaftshaus in Aarhus, vier Generationen unter einem Dach. Dort bezieht eine junge Frau, die Lieder dichtet und Horoskope schreibt, mit ihrem Partner die erste gemeinsame Wohnung. Allmählich öffnet die Nachbarschaft der Neuzugezogenen ihre Türen. Die Menschen erzählen ihr ihre (Liebes)Leben. «Lieder aller Lebenslagen» von Stine Pilgaard ist ein beglückendes Buch. Fast wie ein Adventskalender findet Lea Dora Illmer. Sie empfiehlt das Buch am Literaturstammtisch. «Vaters Meer» erzählt aus der Sicht von Yunus, der in Hannover als Sohn türkischstämmiger Eltern aufwuchs. Eine Spurensuche nach seinem Vater, der nach zwei Schlaganfällen und anschliessender Lähmung in Yunus Jugend verstorben ist. Ein beeindruckendes Buch über Herkunft und das Erzählen, findet Simon Leuthold. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Thriller «Das Schwarze Trikot» vom Mexikaner Jorge Zepeda Patterson vor. Darin geht es um die Tour de France und einen Mörder, der die Radfahrprofis auf Touren bringt. Buchhinweise: * Stine Pilgaard. Lieder aller Lebenslagen. Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer. 208 Seiten. Kanon, 2023. * Deniz Utlu. Vaters Meer. 384 Seiten. Suhrkamp, 2023. * Jorge Zepeda Patterson. Das Schwarze Trikot. 416 Seiten. Aus dem Spanischen von Carsten Regling. Elster, 2023.
Tue, 19 Dec 2023 - 478 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Bernhard Schlink und René Maran
Auf dem Literaturstammtisch liegen heute Bücher, die sich mit existentiellen Fragen befassen: Wie reagiert man auf eine schlechte Diagnose? Welche Auswirkungen hat Rassismus auf die Psyche? Die beiden Autoren Bernhard Schlink und René Maran suchen Antworten. Martin, 76, erfährt, dass er nur noch ein halbes Jahr zu leben hat. Diagnose: Bauchspeichelkrebs. Was kann er in dieser Zeit noch tun? Was kann er seinem sechs Jahre alten Sohn hinterlassen? Erinnerungen, Werte, Lebenseinsichten? Martin wird aktiv. Er lässt sich nicht vom bevorstehenden Tod unterkriegen und entdeckt, dass auch das späte Leben für ihn wunderbare Momente bereithält. «Das späte Leben» von Bernhard Schlink sei eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Leben und Tod, findet Annette König. Der 1960 in Paris verstorbene französische Autor René Maran ist bei uns weitgehend vergessen. Und dies, obwohl er der erste Schwarze war, der in den Zwanzigerjahren den höchsten Literaturpreis Frankreichs erhielt, den Prix Goncourt. Jetzt ist zum ersten Mal Marans Roman «Ein Mensch wie jeder andere» auf Deutsch erschienen. Das Buch vereine sprachliche Schönheit mit thematischer Relevanz: Es zeige die Auswirkungen des Rassismus bis in die Psyche, sagt Felix Münger. Im Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger den Kurzkrimi «Der Schwimmer» des irischen Autors Graham Norton: Die 72-jährige Helen Beamish beobachtet von ihrem Meeresgarten an der irischen Küste aus einen Schwimmer, der nicht zurückkehrt. Sie stellt Nachforschungen an – und alles stellt sich als ganz anders heraus, als es scheint. Ein klassischer, gut geschriebener Krimi, der liebevoll auch von allzu Menschlichem erzählt. Buchhinweise: * Bernhard Schlink. Das späte Leben. 240 Seiten, Diogenes, 2023. * René Maran. Ein Mensch wie jeder andere. Aus dem Französischen von Claudia Marquardt, 208 Seiten. Elster & Salis, 2023. * Graham Norton. Der Schwimmer. Ais dem Englischen von Silke Jellinghaus. 112 Seiten. Kindler, 2023.
Tue, 12 Dec 2023 - 477 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Dezembertipps
Aktuelles zur Vorweihnachtszeit: Der Roman «Taormina» von Yves Ravey, der Thriller «Prophet» von Helen Macdonald und Sin Blaché und die tragikomische Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslaw Rudiš und Jaromír99 diese Woche am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Der Franzose Yves Ravey legt mit seinem Roman «Taormina» eine Parabel auf die moderne Welt vor: Das Buch schildert ein Ehepaar in der Krise, das im sizilianischen Ferienort Taormina Ruhe und Erholung sucht. Daraus wird allerdings nichts: Das Paar überfährt in der Dunkelheit ein Migrantenkind und begeht Fahrerflucht. Die beiden werden nun ihrerseits zu Geflüchteten. Für Felix Münger ist das Verhalten des Paars ein Sinnbild für den Umgang Europas mit der globalen Migration und der ihr innenwohnenden menschlichen Tragik. Wie gefährlich ist Nostalgie? Diese Frage stellt der Science-Fiction Thriller «Prophet». Helen Macdonald und Sin Blaché haben ihn gemeinsam während des Corona-Lockdowns geschrieben. Als im ländlichen England kurz nacheinander ein amerikanisches Diner ohne Stromanschluss und eine Leiche auftauchen, werden zwei eigentümliche Geheimagenten herbeigezogen. Ein Page-Turner mit genauso geistreichen wie witzigen Dialogen, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp der Woche stammt diesmal von Michael Luisier. Er empfiehlt die Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslav Rudiš und Jaromír99, in der ein Kavka mit «V», ein König von Prag und eine Stella aus Milano mit einem Erzähler zusammen von Kneipe zu Kneipe ziehen. Natürlich vor dem Hintergrund eines wunderschönen, romantisch-verschneiten Prag. Buchhinweise: * Yves Revey. Taormina. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 112 Seiten. liebeskind, 2023. * Helen Macdonald und Sin Blaché. Prophet. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. 528 Seiten. Hanser, 2023. * Jaroslav Rudiš. Weihnachten in Prag. 96 Seiten mit Illustrationen von Jaromír99. Luchterhand, 2023.
Tue, 05 Dec 2023 - 476 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Erschütterungen
Drei Bücher stehen am Stammtisch zur Debatte: Philippe Djians erster Klimaroman «Ein heisser Sommer», die wiederentdeckten «Novemberschwestern» von Josephine W. Johnson über die Not zur Zeit der Wirtschaftskrise und Klaus Merz Buch «Noch Licht im Haus», das ebenso irritiert wie verzaubert. Philippe Djian gilt seit seinem Roman «Betty Blue» aus dem Jahr 1985 als Kultautor. Doch seither hat sich der Franzose in Stil und Themenwahl weiterentwickelt. Sein neues Buch «Ein heisses Jahr» ist sein erster Klimaroman überhaupt. Doch trotzt Schwerpunkt auf Ökologie bleibe Djian auch jetzt seinem Leitmotiv treu, sagt Annette König: Erneut sei die oft schwierige Beziehung zwischen Mann und Frau ein Thema. «Ein heisses Jahr» spielt im Jahr 2030. Die globale Klimaerwärmung hat sich intensiviert. Greg arbeitet in einer Firma, die Pestizide herstellt. Doch die Firma gerät in Verdacht, Berichte zu fälschen und Greg ist beteiligt daran. Doch dann verliebt sich Greg in die Umweltaktivistin Vera, was alles verändert. Der Roman «Die Novemberschwestern» der 1990 verstorbenen US-Amerikanerin Josephine W. Johnson schildert drei Schwestern auf einer einsamen Farm in den USA. Wegen der Wirtschaftskrise kämpft die Familie ums Überleben. Dann zieht ein junger Mann ein, der die rigiden Verhältnisse aufbricht. Für ihr Debüt «Die Novemberschwestern» gewann Josephine W. Johnson 1935 gerade mal 24jährig den renommierten Pulitzer-Preis. Die packende Wiederentdeckung sei in vielem aktuell, sagt Franziska Hirsbrunner, zum Beispiel in der der Frage nach der Ausbeutung von Mensch und Natur. Der Schweizer Dichter Klaus Merz hat seine Ankündigung zu seinem 70. Geburtstag nicht wahrgemacht, nämlich aufhören zu schreiben. Zum Glück, findet Felix Münger. Klaus Merz neuster Band «Noch Licht im Haus» mit Lyrik und kurzen Prosatexten biete literarischen Zauber pur: Hochgradig verdichtet und voller poetischer Kraft beschwört Klaus Merz das Schöne im Augenblick, Erinnerungen oder Sehnsuchtsträume. Buchhinweise: * Philippe Djian. Ein heisses Jahr. Aus dem Französischen von Norma Cassau. 240 Seiten. Diogenes, 2023. * Josephine W. Johnson. Die Novemberschwestern. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. 222 Seiten. Aufbau, 2023. * Klaus Merz. Noch Licht im Haus. Gedichte und kurze Geschichten. 105 Seiten. Haymon, 2023.
Tue, 28 Nov 2023 - 475 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Überleben
Lauren Groff erzählt vom Überlebenskampf eines Waisenmädchens in der Wildnis. Elena Fischer schildert die Trauer eines Mädchens, das über den Tod der Mutter hinwegzukommen versucht. Und Atsuhiro Yoshida beschreibt, was der Mensch zum Überleben braucht: Liebe, Gemeinschaft und Anteilnahme. Die US-amerikanische Schriftstellerin Lauren Groff hat mehrere Romane und Kurzgeschichten geschrieben und hatte damit immer grossen Erfolg. Zu ihren prominentesten Fans gehört Barack Obama. Lauren Groffs neuster Roman «Die weite Wildnis» gilt als Meisterwerk. Darin beschreibt die Autorin den Überlebenskampf einer jungen Frau im Wald an der Ostküste der USA, im 17. Jahrhundert. Ein «Robinson Crusoe» aus weiblicher Perspektive? Diese Frage stellt sich Jennifer Khakshouri, die das Buch am Stammtisch empfiehlt. Mit ihrem Debütroman «Paradise Garden» landete die 36-jährige Deutsche Elena Fischer einen Coup: beste Kritiken rundherum, Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Tatsächlich sei die Coming-of-Age-Geschichte herzzerreissend und herzergreifend, findet Felix Münger. Im Zentrum steht die 14-jährige Billie, die mit ihrer Mutter in einer Hochhaussiedlung lebt, in prekären Verhältnissen. Als die Mutter stirbt beginnt die Teenagerin ihren tabuisierten Vater zu suchen – und begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Im heutigen Kurz-Tipp stellt Annette König den Episodenroman «Gute Nacht, Tokio» von Atsuhiro Yoshida vor. Tokio, nachts um eins. Eine Filmrequisiteurin, eine Telefonseelsorgerin, ein Privatdetektiv, eine angehende Schauspielerin, ein Barkeeper sind noch wach. Was sie alle verbindet: ihre nächtlichen Fahrten mit dem hilfsbereiten Taxifahrer Matsui. Ein Buch voller warmer Menschlichkeit. Buchhinweise: * Lauren Groff. Die weite Wildnis. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. 288 Seiten. Claassen, 2023. * Elena Fischer. Paradise Garden. 352 Seiten. Diogenes, 2023. * Atsuhiro Yoshida. Gute Nacht, Tokio. Aus dem Japanischen von Katja Busson. 191 Seiten. hanserblau, 2023.
Tue, 21 Nov 2023 - 474 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Shortlist Schweizer Buchpreis 2023
Eine Autorin und vier Autoren sind dieses Jahr auf der Shortlist vertreten. Die nominierten Bücher befassen sich mit unterschiedlichen Themen: von existentiellen über gesellschaftliche und historische bis zu persönlichen Fragen. Wie verlässlich ist das, was wir wahrnehmen? Der renommierte Schweizer Schriftsteller Christian Haller stellt diese Frage in das Zentrum seiner Novelle «Sich lichtende Nebel». In seiner ruhigen, präzisen und gleichzeitig eindringlichen Sprache erzählt Haller die Geschichte zweier Männer, deren Leben sich durch einen Zufall kreuzen. In seinem Roman «Mr. Goebbels Jazz Band» rückt Demian Lienhard eine Band in den Fokus, die es tatsächlich gegeben hat: auf Geheiss des NS-Propagandaministers Goebbels unterhielt sie die Menschen mit Swing – und englischsprachigen, pro-deutschen Propagandatexten. Es sei ein Lehrstück, wie Propaganda funktioniere, sagt Lienhard zum historischen Stoff. Sarah Elena Müller erzählt in ihrem Roman «Bild ohne Mädchen» von sexuellem Kindsmissbrauch. Ein Mädchen besucht seinen Nachbarn regelmässig, er filmt sie, die Eltern schauen weg. Was sie an dieser erschütternden Geschichte besonders interessiere, sagt Müller, sei die Frage der Verantwortung. «Glitsch» - der Buchtitel spielt auf Fehler in einem Computerspiel an: wenn die virtuelle Wirklichkeit verzerrt ist. In seinem Roman nun führt Adam Schwarz diese Idee weiter und erzählt von einer Kreuzfahrt, die in einer verschobenen Wirklichkeit stattfindet. Mit einer Gesellschaft, die sich weigert, sich der Realität zu stellen. Matthias Zschokke widmet seinen Roman «Der graue Peter» einem alternden Mann der Schweizer Mittelschicht. Nach Schicksalsschlägen taumelt er durch sein Leben – da wird ihm in einem Zug in Frankreich überraschend ein unbekannter kleiner Junge anvertraut. Skurrile Begebenheiten folgen, und der Eigenbrötler zeigt wider Erwarten Empathie. Katja Schönherr und Lea-Dora Illmer aus der SRF-Literaturredaktion stellen die fünf nominierten Bücher im Gespräch mit Britta Spichiger vor. Buchhinweise: * Christian Haller. Sich lichtende Nebel. 128 Seiten. Luchterhand, 2023. * Demian Lienhard. Mr. Goebbels Jazz Band. 320 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Sarah Elena Müller. Bild ohne Mädchen. 208 Seiten. Limmat, 2023. * Adam Schwarz. Glitsch. 296 Seiten. Zytglogge, 2023. * Matthias Zschokke. Der graue Peter. 176 Seiten. Rotpunktverlag, 2023.
Tue, 14 Nov 2023 - 473 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Grosse Namen
Der Literaturstar Paul Auster als Autor des Romans «Baumgartner» und der Jahrhundertschriftsteller Joseph Roth als Protagonist in Lea Singers «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» sind nur zwei der grossen Namen, die im aktuellen BuchZeichen eine Rolle spielen. Er war einer der ganz grossen deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit, geboren in einer jüdischen Kleinstadt am Rand des Habsburgerreichs. Sie entstammte einer gutbürgerlichen Hamburger Familie, hatte afrokubanische Wurzeln und brachte sich und ihre Kinder als alleinerziehende Mutter mit Grafik- und Redaktionsarbeiten über die Runden. Joseph Roth und Andrea Manga Bell waren von 1929-1936 ein Paar. Nach der Machtergreifung der Nazis waren sie beide akut gefährdet. Die deutsche Schriftstellerin Lea Singer erzählt im Roman «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» ihre Liebesgeschichte so, dass sich ganz viele Bezüge zur Gegenwart ergeben. «Baumgartner», so heisst der neue Roman des Literatur-Stars Paul Auster. Und so heisst zugleich die Hauptfigur des Buchs. Seymour Baumgartner ist alternder Philosophie-Professor. Vor einigen Jahren hat er seine Frau verloren. Seither trauert er um sie. Nach einem Morgen voller Pannen beginnt er, sein Leben Revue passieren zu lassen. Über dem Roman schwebt die Frage: Was bleibt von einem, wenn man gestorben ist? Literaturredaktorin Katja Schönherr ist froh, dass es Paul Auster trotz seiner Krebserkrankung gelungen ist, dieses Buch fertigzustellen. Auch im Buchtipp geht es um einen grossen Namen: Anlässlich des Erscheinens des «neuen» Beatles-Songs «Now and Then» empfiehlt Michael Luisier die bisher letzte bedeutende Beatles-Biografie: «One Two Three Four» von Craig Brown. Buchhinweise * Lea Singer. Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe. 304 Seiten. Kampa Verlag, 2023. * Paul Auster. Baumgartner. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2023. * Craig Brown. One. Two. Three. Four. Die fabelhaften Jahre der Beatles. Aus dem Englischen von Conny Lösch. 670 Seiten mit 55 Abbildungen. C.H. Beck, 2022.
Tue, 07 Nov 2023 - 472 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Milena Moser und Philipp Oehmke
Milena Mosers neuer Roman «Der Traum vom Fliegen» erzählt unter anderem von der Kraft von Freundschaft. Philipp Oehmkes Debüt ist eine Familiengeschichte nach US-amerikanischem Vorbild. Im Roman «Der Traum vom Fliegen» wird Sofia, 20, Studentin, von ihren Vätern in die Privatklinik Los Pajaritos an der Nordwestküste der USA gebracht. Dort soll ihr Übergewicht behandelt werden. Während der Pandemie hat Sofia mehr als 30 Kilo zugenommen. Auch leidet sie unter Müdigkeit und ist vergesslich. Doch was ihre Väter nicht wissen: Sofias Gewichtszunahme ist Kalkül. Sie will nicht wieder die Bodenhaftung verlieren, weil ihr Traum vom Fliegen zu «real» geworden ist. In den täglichen Gruppentherapien trifft sie auf andere Klinikgäste, die ihre Strategie durchschauen. Gegenseitig helfen sie einander, um wieder Fuss im Leben zu fassen. In «Schönwald», dem Debütroman des deutschen Journalisten Philipp Oehmke, muss sich die wohlsituierte Familie Schönwald ihrer Vergangenheit stellen: Plötzlich der Vorwurf, ihr Wohlstand komme hauptsächlich von Grossvater Schönwald, und der sei ein alter Nazi gewesen. Für Schönwalds, die es nicht gewohnt sind, über ihre Probleme zu sprechen, eine Katastrophe. In der Folge bricht bei allen Familienmitgliedern noch sehr viel Anderes hervor, das sie bisher sorgsam vor ihren Verwandten verheimlicht haben. Ein abgründiger deutscher Familienroman nach US-amerikanischem Vorbild, der einen beim Lesen immer tiefer ins Familiengestrüpp hineinzieht. Grossartige Passagen über Schönheit und Brutalität der Natur. Das zeichnet den Roman «So weit der Fluss uns trägt» vor allem aus. In ihrem Debüt erzählt die US-Amerikanerin Shelley Read von einem jungen Mädchen, das schwanger wird und in die Einsamkeit der Berge flüchten muss. Die Natur ist in diesem Roman also fast wie eine Figur – und gleichzeitig Schauplatz für die Geschichte einer starken Frau, die mutig ihren Weg geht. Zu einer Zeit, in der Mitte des letzten Jahrhunderts, als das alles andere als selbstverständlich ist. Buchhinweise: * Milena Moser. Der Traum vom Fliegen. 384 Seiten. Kein & Aber, 2023. * Philipp Oehmke. Schönwald. 544 Seiten. Piper, 2023. * Shelley Read. So weit der Fluss uns trägt. Aus dem Amerikanischen von Wibke Kuhn. 368 Seiten. C. Bertelsmann, 2023.
Tue, 31 Oct 2023 - 471 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Neues aus der Schweiz
Mit Gianna Molinaris «Hinter der Hecke die Welt» und Theres Roth-Hunkelers «Damenprogramm» sind zwei aktuelle Romane aus der Schweiz Thema am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Dabei geht es um zwei unterschiedliche, doch gleichermassen existenzielle Themen. Die Arktis, in der das Eis schmilzt, und ein abgelegenes Dorf, in dem nichts mehr wächst ausser der Hecke drumherum. Das sind die beiden Schauplätze im aktuellen Roman der Schweizer Autorin Gianna Molinari. «Hinter der Hecke die Welt» heisst er und handelt unter anderem vom menschlichen Eingreifen in die Natur. Für SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr ein Buch, das wehmütig stimmt. Theres Roth-Hunkelers jüngster Roman «Damenprogramm» erzählt unbeschönigt davon, als Frau alt zu werden. Natürlich geht es dabei um Verluste: Der Körper verändert sich, Ehepartner sterben, Beziehungen scheitern. Aber allem voran ist es ein ermutigendes Buch über die eine Liebe, die alles überdauert: zwischen zwei besten Freundinnen. Ein Buch wie ein Vorbild, findet Literaturredaktorin Lea Dora Illmer. Der aktuelle Buchtipp dieser Woche kommt von Michael Luisier. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie am Wochenende in Frankfurt erinnert er an dessen Roman "Victory City". Buchhinweise: * Gianna Molinari. Hinter der Hecke die Welt. 200 Seiten. Aufbau, 2023. * Theres Roth-Hunkeler. Damenprogramm. 256 Seiten. Edition Bücherlese, 2023. * Salman Rushdie. Vicotory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 414 Seiten. Penguin, 2023.
Tue, 24 Oct 2023 - 470 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Was Freiheit bedeutet
In «Lichtspiel» von Daniel Kehlmann geht es um die Grenzen der Kunst während des Zweiten Weltkrieg. In «Als die Welt entstand» von Drago Jancar um Totalitarismus im ehemaligen Jugoslawien. Und in «Hund 51» von Laurent Gaudé um eine dystopische Welt, in der die Menschen nicht mehr frei sind. In seinem neuen Roman «Lichtspiel» beschäftigt sich der deutsch-österreichische Autor Daniel Kehlmann erneut mit einem historischen Stoff. Es geht um den österreichischen Filmemacher Georg Wilhelm Pabst, einem der grössten und erfolgreichsten Regisseure in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Damals war Pabst so wichtig wie Fritz Lang («Metropolis») oder Friedrich Wilhelm Murnau («Nosferatu»). Und er war der Entdecker von späteren Superstars wie Greta Garbo und Louise Brooks. Aber dann traf er verschiedene falsche Entscheidungen und wurde zu einer Geisel der Nazis. Er musste fortan Filme für sie drehen. Franziska Hirsbrunner bringt diesen facettenreichen Roman mit an den Literaturstammtisch. Im aktuellen Roman «Als die Welt entstand» des slowenischen Autors Drago Jancar wächst ein Knabe inmitten gesellschaftlicher und menschlicher Verwerfungen auf – und findet Rettung in der Fantasie. Felix Münger überzeugt die Kunst des Autors, ganz Unterschiedliches zusammenzubringen. Der Roman bietet ein Zeitgemälde der jugoslawischen Gesellschaft zu Beginn der 1960er Jahre: Die traumatische Erfahrung des Zweiten Weltkriegs wirft ihre dunklen Schatten. Das Buch ist aber auch ein in eine Kriminalgeschichte verpackter Coming-of-Age-Roman, der zudem grundsätzliche Fragen nach dem Wesen des Menschen aufwirft. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Bestseller «Hund 51» vom französischen Schriftsteller Laurent Gaudé vor. Es ist ein rasanter Science-Fiction-Thriller mit Aktualitätsbezug. Darin wird der Staatsbankrot von Griechenland weitergedacht und die Folgen der Klimaveränderung in eine dystopische Zukunft gelegt. Buchhinweise: * Daniel Kehlmann. Lichtspiel. 480 Seiten. Rowohlt, 2023. * Drago Jancar. Als die Welt entstand. Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler. Zsolnay, 2023. * Laurent Gaudé. Hund 51. 336 Seiten. Aus dem Französischen von Christian Kolb. dtv, 2023.
Tue, 17 Oct 2023 - 469 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Necati Öziri und Julie Otsuka
«Vatermal» von Necati Öziri, eines der aufregendsten Bücher der Saison und zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen. Der Student Arda liegt mit Organversagen im Spital einer deutschen Kleinstadt. In einem Abschiedsbrief wendet er sich an seinen Vater, den er nicht kennt. Der Vater ist zurück in die Türkei gegangen, als Arda noch ganz klein war. In diesem Brief beschreibt Arda ihm nun sein Aufwachsen inmitten von Demütigung und Gewalt. «Vatermal» ist eines der besten Bücher dieses Herbsts, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Ein intensives Leseerlebnis, wie man es nur selten habe. Hundesitter, Professorinnen, arbeitslose Schauspieler – eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die die Liebe zum Schwimmen eint. Was im Hallenbad unter der Erde beginnt, entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer feinfühligen Annäherung einer Tochter an ihre demenzkranke Mutter. «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka ist ein verblüffendes Buch mit tröstlichem Humor, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Des Reimes willen Henk». Der Roman stammt von Ralf Schlatter und ist in Versform verfasst. Buchangaben: * Necati Öziri. Vatermal. 304 Seiten. Claassen, 2023. * Julie Otsuka. Solange wir schwimmen. Aus dem amerikanischen Englisch von Katja Scholtz. 160 Seiten. Mare, 2023. * Ralf Schlatter. Des Reimes willen Henk. 128 Seiten. Limbus Verlag, 2023.
Tue, 10 Oct 2023 - 468 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Über die eigene Jugend schreiben
Peter Probst erzählt wie sein Alter Ego 18 Jahre alt und noch immer von seinen Eltern verhindert wird. Wilfried Meichtry schildert wie es sich anfühlt im geistig engen Wallis der 1970er Jahre heranzuwachsen. Und Annie Ernaux beschreibt die prekären Verhältnisse in ihrem Elternhaus in der Normandie. Mit «Ich habe Schleyer nicht entführt» fügt Peter Probst seiner autobiografischen Romanserie über sein Alter Ego Peter Gillitzer einen dritten Band hinzu. Peter Gillitzer schliesst sich einer anarchistischen Gruppe an und unternimmt erste Schritte in Richtung Erfüllung seines Traums, Schriftsteller zu werden. Vor allem aber geht sein drei Bände dauernder Konflikt mit seinem dominanten Vater in die entscheidende Phase, denn Peter Gillitzer wird volljährig. Ein liebevoll und witzig erzählte Geschichte über eine Jugend unter mehr als speziellen Bedingungen, meint Michael Luisier. Wilfried Meichtry ist besonders für seine historischen Romane bekannt. Nun hat der Schweizer Schriftsteller einen Roman entlang seiner eigenen Biografie geschrieben. «Nach oben sinken» erzählt von der Identitätsfindung eines Teenagers. Im Wallis der 70er-Jahre herrscht eine unerträgliche katholische Enge. Ein verträumter Jugendlicher versucht auszubrechen – und wühlt dabei Familiengeheimnisse auf. Am Familiengrab stösst er auf eine Inschrift, die sich auf einen rätselhaften Grossonkel bezieht, über den in der Familie nicht gesprochen wird. Doch das Schweigen, das er auf seine Nachfragen erfährt, übertrifft alles, was er bisher erlebt hat. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König «Die leeren Schränke» von Annie Ernaux vor. Es ist der erste Roman der französischen Literatur-Nobelpreisträgerin, den sie vor mehr als fünfzig Jahren geschrieben hat. Auch dieses Buch ist autofiktional und kreist um Ernauxs Lebensthemen wie Herkunft und weibliche Selbstbestimmung. Doch im Schreibverfahren unterscheidet es sich von Ernauxs späteren Büchern. Buchhinweise: * Peter Probst. Ich habe Schleyer nicht entführt. 350 Seiten. Kunstmann, 2023. * Wilfried Meichtry. Nach oben sinken. 256 Seiten. Nagel&Kimche, 2023. * Annie Ernaux. Die leeren Schränke. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 218 Seiten. Suhrkamp, 2023.
Tue, 03 Oct 2023 - 467 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Hilary Mantel und F.-H. Désérable
In ihrem Buch «Sprechen lernen» geht die britische Schriftstellerin Hilary Mantel auf Spurensuche ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Der französische Schriftsteller François-Henri Désérable erzählt in seinem Roman von einer Amour fou. Hilary Mantels autofiktionale Erzählungen sind im Original schon vor zwanzig Jahren erschienen – jetzt kann sie auch das deutsche Publikum lesen. Mantel nimmt uns mit ins England der Fünfziger- und Sechzigerjahre, an Schauplätze, an denen prägende Erinnerungen entstanden sind. «Sprechen lernen» ist für Franziska Hirsbrunner ein Lieblingsbuch – faszinierend, berührend, grandios erzählt. Vasco und Tina brennen leidenschaftlich füreinander – dabei will Tina in wenigen Wochen Edgar, den Vater ihrer Zwillinge heiraten. Die Liebe zur Literatur verbindet die beiden. Besonders die Gedichte von Paul Verlaine und Arthur Rimbaud. Als Vasco Tina bei ihrem ersten Date in der Nationalbibliothek seltene und kostbare Bücher zeigt, können sie nicht mehr die Finger voneinander lassen. Eine luftig-leichte Amour fou mit Krimielementen, die nebst der Spannung auch gleich noch Lust auf Lyrik macht – findet Annette König. Im heutigen Kurztipp «Von Wegen und Umwegen» erzählen zwanzig berühmte zeitgenössische Autorinnen und Autoren vom Spazieren. Unter anderem begibt sich der britische Schriftsteller Tim Parks auf Spurensuche eines italienischen Generals, und die britische Autorin Alison Louise Kennedy schultert den Rucksack und erklimmt Berge in Schottland. Ganz bequem – auf dem Sofa – kann man sie dabei begleiten. Unterhaltsame und inspirierende Lektüre, sagt Britta Spichiger. Buchhinweise: * Hilary Mantel. Sprechen lernen. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 156 Seiten. Dumont Verlag, 2023. * François-Henri Désérable: Mein Meister und Bezwinger. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz. 216 Seiten. Rotpunktverlag, 2023 * Duncan Minshull. Von Wegen und Umwegen. Betrachtungen über das Leben zu Fuss. Übersetzt von Reiner Pfleiderer, Friedrich Pflüger, Elsbeth Ranke, Stephanie Singh und Wolfram Ströle. HarperCollins, 2023.
Tue, 26 Sep 2023 - 466 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Das Wallis und die Mutter
Thomas Hettche schreibt einen Roman, in dem das Wallis vom Rest der Welt isoliert wird. Wolf Haas schreibt über seine sterbende Mutter und das Leben.Zwei scheinbar unterschiedliche Bücher, die aber beide persönliche Geschichten erzählen und die Bedeutung von Erinnerungen thematisieren. Der deutsche Schriftsteller Thomas Hettche hat als Schauplatz seines neuen Romans das Wallis gewählt: Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt. Seither ist der Kanton abgeschottet – und hat sich losgesagt vom Rest der Welt. Um die Macht streiten sich nun der Leuker Kastlan und eine Bischöfin. Anfangs mutet «Sinkende Sterne» noch an wie ein realistischer Roman, doch bald strotzt er vor Phantastik. Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Kann man vom Schreiben leben? Diese Frage kennt Wolf Haas. Sie wird ihm vermutlich oft genug gestellt. Nun dreht er sie um und schreibt vom Leben. Von seiner Mutter, die gerade im Sterben liegt, und von sich selbst, der sie in den Tod begleitet und eigentlich eine Poetikvorlesung schreiben muss. Titel: Kann man von Leben schreiben. Ein wunderbares Buch über das Leben und die Sprache. «Eigentum» - das bisher persönlichste Buch von Wolf Haas, sagt Michael Luisier. «The Marmalade Diaries» ist ein Tagebuch, das während des Corona-Lockdowns entstand: Der 34-jährige Ben sucht eine Wohnung und kommt unter bei der 85-jährigen Winnie. The perfect match? Man kann es nur hoffen, weil der Lockdown die beiden dazu zwingt, näher zusammenzurücken. Ben Aitken schreibt unterhaltsam und humorvoll über den gemeinsamen Alltag, ohne kitschig oder sentimental zu werden. Ein Buch, in das man sich kuscheln kann, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Thomas Hettche. Sinkende Sterne. 215 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Wolf Haas. Eigentum. 169 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Ben Aitken. The Marmalade Diaries. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 352 Seiten. DuMont, 2023.
Tue, 19 Sep 2023 - 465 - Aktuelle Buchempfehlungen: Lebenskrisen
Der tödliche Unfall des Ehepartners wie in Brigitte Girauds „Schnell leben. Der Weg zu einer Geschlechtsanpassung, wie sie Henri Maximilian Jakobs in «Paradiesische Zustände» beschreibt. Vieles kann Lebenskrisen auslösen. Vieles muss gelöst werden. Bücher zum Thema am Literaturstammtisch. Welche Hürden sind für eine Geschlechtsangleichung zu überwinden? Der deutsche Musiker und Schauspieler Henri Maximilian Jakobs weiss das aus eigener Erfahrung. Nun hat er darüber einen Roman geschrieben. «Paradiesische Zustände» heisst er. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr lobt das Buch als informative und zugleich humorvolle Lektüre. In ihrem autofiktionalen Roman «Schnell leben» verarbeitet die französische Schriftstellerin Brigitte Giraud den frühen Tod ihres Mannes, der bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist. In nüchterner, klarer und präziser Sprache begibt sie sich schreibend an den Ort, der sie 25 Jahre lang vermieden hat, weil er zu schmerzhaft war. Eine tragische Liebesgeschichte, die einem verdeutlicht: es ist, was ist, darum geniesse den Moment! - findet Annette König, die das Buch wärmstens empfiehlt. Selbst der Buchtipp der Woche hat mit Krise und dem Versuch ihrer Bewältigung zu tun, denn es handelt sich um die Gedichte der hochsensiblen Mundartdichterin Maria Lauber, die ihre streng religiöse Erziehung nie ganz hinter überwinden konnte. Buchhinweise * Henri Maximilian Jakobs. Paradiesische Zustände. 350 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Brigitte Giraud. Schnell leben. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. 224 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Maria Lauber. Gedichte in Frutiger Mundart. Kulturstiftung Frutigland (Hg.). 320 Seiten. Zytglogge, 2023.
Tue, 12 Sep 2023 - 464 - Aktuelle Bücherempfehlungen: On the run
Deborah Levy erzählt von einer Pianistin, die vor sich selbst flieht. Lion Christ von einem jungen homosexuellen Mann, der vor jedem mit Erwartungen an ihn davonrennt. Und Joachim B. Schmidt beschreibt, wie Kalmann, in den USA wegen einer Familienangelegenheit in der Tinte sitzt. Elsa M. Anderson ist eine berühmte Konzertpianistin. Bei ihrem Konzertauftritt in Wien vermasselt sie es. Sie verlässt die Bühne und stellt in Folge alles in Frage. Drei Wochen später beobachtet sie auf einem Flohmarkt in Athen eine Frau, die ihr auf seltsame Weise gleicht. In der Auseinandersetzung mit ihrer Doppelgängerin findet Elsa wieder zu sich selbst. Deborah Levy verbindet autobiografisches und fiktionales Erzählen. In ihrem sinnlichen Schreiben lässt sie das Schöne im Alltäglichen aufscheinen, findet Jennifer Khakshouri, die das Buch am Stammtisch empfiehlt. München, 1983. Flori, ein lebenshungriger junger Mann aus der Provinz, träumt von der grossen Liebe und dem prallen Leben. Er zieht in die Stadt und kommt in die vibrierende Münchner Schwulenszene, wo alles verkehrt, was Rang und Namen hat: von Rainer Werner Fassbinder bis Freddie Mercury. Doch mit der grossen Liebe tut er sich schwer. Und AIDS, was gerade aus Amerika nach Europa kommt, ändert alles auf katastrophale Weise. Lion Christ hat mit seinem Flori einen «schwulen Stenz» nach bestem bayerischem Vorbild geschaffen, was es bisher noch nicht gegeben hat. Und mit seinem Debütroman «Sauhund» ein Stück grossartige Literatur, sagt Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt. Im heutigen Kurz-Tipp «Kalmann und der schlafende Berg» stellt Annette König die Fortsetzung von Joachim B. Schmidts Krimireihe um seinen isländischen Sheriff von Raufarhöf fort. Dieses Mal sitzt Kalmann in der Tinte. Als er seinen amerikanischen Vater besucht und vom FBI aufgegriffen wird. Offenbar gibt es geheime Akten über seinen Grossvater. Die Spuren führen zurück in den Kalten Krieg. Buchhinweise: * Deborah Levy. Augustblau. Aus dem Englischen von Marion Hertle. 176 Seiten. Kampa, 2023. * Lion Christ. Sauhund. 370 Seiten. Hanser, 2023. * Joachim B. Schmidt. Kalmann und der schlafende Berg. 304 Seiten. Diogenes, 2023.
Tue, 05 Sep 2023 - 463 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Ferdinand von Schirach und Emma Cline
Einen genauen, analytischen Blick auf die heutige Gesellschaft. Und die Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen. Das bieten die beiden Bücher, die heute auf dem Literaturstammtisch liegen. Die US-Amerikanerin Emma Cline erhielt für ihr Debüt "The Girls" (2016) einen Vorschuss von über 2 Millionen Dollar. Es ging um eine Jugendliche in den Fängen einer Sekte. Unschwer war die Manson Family erkennbar. Deren Morde in Hollywood, die die Flower-Power-Ära der 1960er Jahre beendeten, verstören das Land bis heute. Im lange erwarteten neuen Roman "Die Einladung" nimmt Emma Cline erneut die Schattenseiten des amerikanischen Traums ins Visier. Sie erzählt von einem Escort Girl, das in der Welt der Reichen und Superreichen untergeht. Es gibt wenige deutschsprachige Star-Autoren dieses Formats: Ferdinand von Schirach. Seine Werke wurden millionenfach verkauft. Unter dem Titel «Regen» hat von Schirach nun ein neues Buch geschrieben: einen Theatermonolog, den er auf mehreren grossen Bühnen selbst vortragen wird. Drei Auftritte sind auch in der Schweiz geplant. Wer keine Karten ergattert, dem empfiehlt Literaturredaktorin Katja Schönherr die Lektüre dieses schmalen Bands. Der Roman «Die Erinnerungsfotografen» der Japanerin Sanaka Hiiragi ist ein Schmuckstück, findet Britta Spichiger. Wunderschön gestaltet, mit inspirierendem Inhalt: Herr Hiraska empfängt in seinem Fotostudio Menschen, die gestorben sind. Dort dürfen sie für jedes Lebensjahr ein Foto auswählen und für ein bestimmtes Foto nochmals in die Vergangenheit reisen und es neu schiessen. Herr Hisaka zeigt den Menschen, wie unschätzbar wertvoll Erinnerungen sind – und dass ihr Wert oft von der Perspektive, aus der man sie betrachtet, abhängig ist. Buchhinweise: * Emma Cline. Die Einladung. Aus dem Englischen von Monika Baark. 317 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2023. * Ferdinand von Schirach. Regen. Eine Liebeserklärung. 112 Seiten. Luchterhand, 2023. * Sanaka Hiiragi. Die Erinnerungsfotografen. Aus dem Japanischen von Yukiko Luginbühl und Sabine Mangold. 176 Seiten. Hoffman und Campe, 2023.
Tue, 29 Aug 2023 - 462 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Erkundungen im Labyrinth des Lebens
Diaty Diallo zeigt in «Zwei Sekunden brennende Luft» die Ausweglosigkeit in der Banlieue. R.C. Sherriffs «Zwei Wochen am Meer» schildert eine Suche nach Glück, die sich nicht in seelischen Belastungen verirrt. Und Kurt Martis «Die Riesin» macht das Erzählen selbst zu einem faszinierenden Irrgarten. Die Französin Diaty Diallo erzählt in ihrem hochaktuellen Debüt «Zwei Sekunden brennende Luft» von Jugendlichen, die in der Pariser Banlieue aufwachsen: Von Familie, Freundschaft und erster Liebe - aber auch von Perspektivlosigkeit, Krawall, Polizeigewalt und Tod. Diaty Diallo schreibe mit grosser Musikalität, sagt Annette König, die den Roman an den Literatur-Stammtisch mitbringt. Die Autorin habe eine grosse Begabung, Stimmungen, Gefühle und Orte einzufangen: «Ein kraftvolles Buch, das grosse Explosionskraft besitzt.» «Zwei Wochen am Meer» des Briten R.C. Sherriff stammt aus dem Jahr 1931. Der Roman geriet in Vergessenheit und wurde kürzlich vom britischen Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro wiederentdeckt: Das Buch sei der lebensbejahendste Roman, den er kenne, sagt Ishiguro. «Zwei Wochen am Meer» erzählt von der Familie Stevens und ihren Ferien an der englischen Südküste. In der Geschichte geschieht nicht viel Ungewöhnliches, aber sie zeigt, wie fast jedes Vorhaben getragen ist von Hoffnungen, Befürchtungen und Idealvorstellungen. Gemäss Britta Spichiger verwebe der Roman voller Poesie scheinbar unbedeutende Situationen mit grossen Lebensfragen. Der 2017 verstorbene Berner Autor Kurt Marti war ein begnadeter Lyriker. Wie sehr er jedoch auch die längere Form beherrschte, bewies er mit seinem einzigen Roman «Die Riesin». Er schildert einen Bibliothekar, der sich auf die Suche nach einer Traumfigur macht und sich dabei in einem vertrackten Labyrinth wiederfindet. Der Roman erschien erstmals 1975. Der Autor hat diesen sprachlich experimentellen Text immer wieder überarbeitet. Nun erscheint er zum ersten Mal in seiner letzten Fassung. «Eine gute Gelegenheit, den grossen Schweizer neu zu entdecken», sagt Felix Münger. Buchhinweise: * Diaty Diallo. Zwei Sekunden brennende Luft. Aus dem Französichen von Nouria Behloul und Lena Müller. 176 Seiten. Assoziation A, 2023. * R.C. Sherriff. Zwei Wochen am Meer. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott. 352 Seiten. Unionsverlag, 2023. * Kurt Marti. Die Riesin. Eine Nachforschung, Hg. und mit einem Nachwort von Stefanie Leuenberger und Andreas Mauz. 164 Seiten. Wallstein, 2023.
Tue, 22 Aug 2023 - 461 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn Sicherheiten wegbrechen
Bernardine Evaristo erzählt von einem späten Coming-out der Liebe willen. Aline Valangin schildert den Ausnahmezustand in einem abgelegenen Tessiner Dorf während des Zweiten Weltkriegs. Und die Französin Maria Pourchet schreibt über einen harmlosen Flirt, der zum Flächenbrand wird. In «Mr. Loverman» beschreibt die gefeierte Autorin Bernardine Evaristo das Doppelleben eines Mannes. Mit Mitte 70 will Barry endlich sein Leben aufräumen. Das heisst, er will seine Frau verlassen und offen mit seiner grossen Liebe zusammensein, seinem Jugendfreund Morris. Wird Barry das späte Coming-out wagen? Von dieser Frage lebt der Roman. Und von seinem herrlich bissigen Humor, findet Katja Schönherr. Ein abgelegenes Dorf an der schweizerisch-italienischen Grenze ist Schauplatz im zweiten Roman von Aline Valangin. Die Bohemienne und Pianistin lebte während des Zweiten Weltkriegs selbst im Onsernone-Tal und beschreibt, was der Krieg mit dem Dorf machte. Wie die Männer zum Aktivdienst eingezogen wurden, Flüchtlinge verzweifelt um Aufnahme suchten, Schmuggler das ganze Dorf in einen fieberhaften Reishandel verwickelten. Es geht um Obrigkeitsgläubigkeit, Profitdenken und mangelndes Engagement – um eine verschonte Schweiz, die nur solidarisch ist, wenn es sie nichts kostet. Franziska Hirsbrunner empfiehlt den Roman am Literaturstammtisch. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Feuer» von der Französin Maria Pourchet vor. Laure, Akademikerin, Anfang vierzig, will endlich wieder ein Leben voller Überraschungen führen. Zu stark hat sie das Familien- und Berufsleben in starre Bahnen gewiesen. Das Feuer dazu entfacht die Liebe zu einem desillusionierten Investmentbanker. Was mit einem harmlosen Flirt beginnt, wird zum Flächenbrand. Pourchet beschreibt ungemein treffsicher die Sehnsüchte, Hoffnungen und Abgründe zweier Menschen, die vom Leben nicht dasselbe wollen. Buchhinweise: * Bernardine Evaristo. Mr. Loverman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. 330 Seiten. Tropen, 2023. * Aline Valangin. Dorf an der Grenze. 217 Seiten. Limmat, 2023. * Maria Pourchet. Feuer. Aus dem Französischen von Claudia Marquardt. 320 Seiten. Luchterhand, 2023.
Tue, 15 Aug 2023 - 460 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Amélie Nothomb und Knut Hamsun
Zwei völlig unterschiedliche Werke, doch beide vom eigenen Leben inspiriert. Auf dem Literaturstammtisch liegen heute «Der belgische Konsul» von Amélie Nothomb und «Hunger» von Knut Hamsun. Die belgische Bestsellerautorin Amélie Nothomb hat ein sehr persönliches Buch über ihren Vater geschrieben, um dessen Tod zu verarbeiten. Der Roman heisst «Der belgische Konsul». Darin erzählt die Autorin von der Kindheit und dem bewegten Diplomatenleben von Patrick Nothomb, der mit 28 Jahren fast von einem Exekutionskomitee im Kongo erschossen worden wäre. Annette König bringt das Buch an den Literaturstammtisch und weiss auch viel von ihrer Begegnung mit der Autorin zu erzählen. Ein Ich-Erzähler irrt durch die Strassen von Kristiana, dem heutigen Oslo. Er ist mittellos und leidet Höllenqualen, weil er hungert. Und weil er keine Hilfe annehmen kann. Aus Scham und Ehrgefühl. Mit dem Roman «Hunger» von 1890 hat der norwegische Autor und spätere Nobelpreisträger Knut Hamsun Literaturgeschichte geschrieben. Der Roman gilt als Meilenstein des psychologischen Romans und sei auch heute noch ein Leseerlebnis, sagt Felix Münger. Die Neuübersetzung orientiert sich an der Urfassung, die Hamsun Jahrzehnte später veränderte, als er sich dem Nationalsozialismus zuwandte und ganze Passagen strich oder glättete. «Als wir Vögel waren» - der Roman von Ayanna Lloyd Banwo aus Trinidad – erzählt eine magische Liebesgeschichte. Es geht um Darwin und Yeijde, die aus vollkommen unterschiedlichen Welten kommen – und sich doch mit denselben Lebensfragen konfrontiert sehen. Britta Spichiger empfiehlt den Roman zur Lektüre, weil er einen in die Klänge, Bräuche und Legenden von Trinidad eintauchen lässt – und gleichzeitig mit zarter Poesie verzaubert. Buchangaben * Amélie Nothomb. Der belgische Konsul. Aus dem Französischen von Brigitte Grosse. 144 Seiten. Diogenes, 2023. * Knut Hamsun. Hunger. Neu übersetzt aus dem Norwegischen nach der Erstausgabe von 1890 von Ulrich Sonnenberg. 256 Seiten. Manesse, 2023. * Ayanna Lloyd Banwo. Als wir Vögel waren. Aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger. 352 Seiten. Diogenes, 2023.
Tue, 27 Jun 2023 - 459 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Anthony McCarten und Yuko Tsushima
Der Neuseeländer Anthony McCarten zeigt in «Going Zero» auf, dass wir der totalen Überwachung (fast) nicht mehr entgehen können. Die Japanerin Yuko Tsushima erzählt in «Räume des Lichts» von einer alleinerziehenden Frau, die ein unabhängiges Leben will. Der Neuseeländer Anthony McCarten entwirft in seinem rasanten Thriller «Going Zero» ein erschreckend realistisches Szenario. Die US-amerikanischen Geheimbehörden schliessen sich zusammen mit der weltweit grössten privaten Datenbank. Alle Verantwortlichen sind überzeugt, dass die nationale Cybersicherheit nur gewährleistet ist, wenn sie ihre Kräfte bündeln, Technologien und Daten austauschen. Das gigantische Projekt muss nur noch einen Test bestehen: Zehn Freiwillige tauchen für dreissig Tage unter und dürfen absolut keine Spuren hinterlassen. Wenn die Datenkrake die Menschen nicht finden kann, platzt der Deal. Die japanische Schriftstellerin Yuko Tsushima (1947-2016) wird gerade international wiederentdeckt. Mit ihren stark autobiografisch geprägten Themen und ihrem nüchternen, aber lebensprallen Stil macht sie Furore. In «Räume des Lichts» erzählt sie, ihrer Zeit weit voraus, vom Alltag einer alleinerziehenden Frau im Tokio der 1970er Jahre und ihrem Kampf um die Kontrolle über das eigene Leben. Im heutigen Kurztipp «All die Liebenden der Nacht» von Mieko Kawakami geht es um eine junge Korrekturleserin, die nicht weiss, wie man lebt. Doch eine unverhoffte Begegnung mit einem Unbekannten durchbricht ihre Alltagsroutine und eröffnet ihr neue Perspektiven. Buchhinweise: * Anthony McCarten. Going Zero. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. 464 Seiten. Diogenes, 2023. * Yuko Tsushima. Räume des Lichts. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. 208 Seiten. Arche Literaturverlag, 2023. * Mieko Kawakami. All die Liebenden der Nacht. Aus dem Japanischen von Katja Busson. 260 Seiten. Dumont, 2023.
Tue, 20 Jun 2023 - 458 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Mathias Énard und Verena Kessler
Der französische Autor und die deutsche Autorin stellen in ihren neuen Romanen existentielle Fragen. Im einen geht es um kriegstraumatisierte Männer, im anderen um Mutterschaft. Im Zentrum des Romans «Der perfekte Schuss» des Franzosen Mathias Énard steht ein junger Scharfschütze, der in einem nicht bezeichneten Krieg aus dem Hinterhalt tötet – Soldaten und wahllos Zivilisten. Die Lektüre sei verstörend, sagt Felix Münger, aber auch dringlich. Denn das Buch leuchte in die kaputten Seelen von Menschen, die in Kriegen – in der Ukraine und anderswo - zu uniformierten Bestien werden und morden, foltern und vergewaltigen. Der Roman ist Énards Debütroman, der 2003 im französischen Original erschien und nun erstmals auf Deutsch vorliegt. Was spricht für das Kinderkriegen und was dagegen? In ihrem Roman «Eva» leuchtet die deutsche Autorin Verena Kessler das Thema «Mutterschaft» aus verschiedenen Perspektiven aus. So geht es zum Beispiel um Sina, die versucht, schwanger zu werden – doch es klappt nicht. Oder um die titelgebende Eva, die vehement dagegen ist, heutzutage noch Kinder zu bekommen. Nur ein Geburtenstopp könne unseren Planeten angesichts der Klimakrise retten, so ihre Meinung. Mit «Eva» hat Verena Kessler einen sehr klugen, anregenden und raffiniert konstruierten Roman geschrieben, findet Katja Schönherr. Der Roman «Die unglaubliche Grace Adams» erzählt von einer Frau in mittleren Jahren, die ihr Leben nochmals anpackt. An einem heissen Sommertag steht sie in London im Stau, eine Fliege nervt sie, der Schweiss läuft ihr aus allen Poren, sie ist spät dran, um sie herum ein Hupkonzert ungeduldiger Fahrer:innen. Grace steigt aus, lässt ihr Auto stehen – und stürmt quer durch London. Zu ihrer Tochter, die sie nicht mehr sehen will, zu ihrem Mann, der sich von ihr getrennt hat. Ihre Raserei, ihr Wutausbruch, haben etwas Heilendes und ermöglichen vielleicht sogar einen Neuanfang. Im Kurztipp empfiehlt Britta Spichiger das Buch als perfekte Sommerlektüre. Buchhinweise: * Mathias Énard. Der perfekte Schuss. Aus dem Französischen von Sabine Müller. 192 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * Verena Kessler. Eva. 200 Seiten. Hanser Berlin, 2023. * Fran Littlewood. Die unglaubliche Grace Adams. Aus dem Englischen von Katharina Naumann. 368 Seiten. Ullstein, 2023.
Tue, 13 Jun 2023 - 457 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Familienroman und Astrologie-Comic
Bunt kommt es daher, das aktuelle BuchZeichen mit seinen Buchempfehlungen: Der wöchentliche Literaturstammtisch bespricht Alice Grünenfelders Familienroman «Jahrhundertsommer» und Liv Strömquists Comic «Astrologie». Gleichzeitig erinnert es an den Kinderbuchautor und Dichter Erich Kästner. Ein Provinzroman, der in den 1960er Jahren in Süddeutschland spielt: Magda wird von ihrem Mann verlassen. Fortan ächtet man sie in ihrem Dorf, als sei eine Scheidung ansteckend. Alice Grünfelders Roman "Jahrhundertsommer" ist eine gross angelegte Familiengeschichte. Und vor allem ist sie turbulent. Mit unvorhersehbaren Wendungen sorgt Grünfelder für Spannung, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Astrologie boomt, vor allem in den sozialen Medien, denn sie schenkt (scheinbare) Sicherheit in unsicheren und unübersichtlichen Zeiten. Mit ihrem neuen Comic «Astrologie» knöpft sich die schwedische Comic-Zeichnerin Liv Strömquist, eine Ikone des Feminismus, unsere Sternzeichen vor, indem sie auf sehr humorvoll-bissige Weise ihre Zuschreibungen auf die Schippe nimmt, ohne sie ins allzu Lächerliche zu ziehen. Auch Literaturredaktorin Nicola Steiner, die den Comic ins Buchzeichen mitbringt, findet sich in diesem Comic wieder, wenn es dort zu ihrem Sternzeichen heisst, Schützen seien unglaublich open-minded Outside-The-Box-Denker*innen – ausser wenn es um Vorschläge anderer Leute geht. Der Tipp der Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Sammelband «Erich Kästner – Resignation ist kein Gesichtspunkt – Politische Reden und Feuilletons», der gerade vom deutschen Literaturwissenschaftler und Erich-Kästner-Biografen Sven Hanuschek herausgegeben wurde. Buchhinweise: * Alice Grünfelder. Jahrhundertsommer. 320 Seiten. dtv, 2023. * Liv Strömquist. Astrologie. Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. 176 Seiten. Avant Verlag, 2023. * Erich Kästner. Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons. Herausgegeben von Sven Hanuschek. 238 Seiten. Atrium Verlag, 2023.
Tue, 06 Jun 2023 - 456 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Vielfältige Frauenstimmen
Claire Keegan erzählt kraftvoll die Geschichte eines Mädchens aus prekären Verhältnissen. Gwendolyn Brooks schildert die Lebenssituation einer Schwarzen Frau in Chicago Anfang des 20. Jh. Und Maylis de Kerangal schreibt vielstimmig über Momente der Nähe und Entfremdung im Leben von acht Frauen. Die berührende Erzählung «Das dritte Licht» von der irischen Schriftstellerin Claire Keegan erschien bereits vor Jahren. Im Zentrum steht ein Mädchen aus prekären Verhältnissen, das in die Pflege bei kinderlosen Verwandten gegeben wird. Mit kriminalistischem Gespür beschreibt Keegan, wie sich eine neue Welt für das Kind eröffnet. Nun ist dieser Text in einer überarbeiteten Version neu aufgelegt worden – anlässlich der Verfilmung «The Quiet Girl», die in diesem Jahr für die Oscars nominiert war. Für Nicola Steiner ist Keegan eine der interessantesten literarischen Stimmen unserer Zeit. Die US-Amerikanerin Gwendolyn Brooks (1917-2000) hat vorrangig Lyrik verfasst. Und im Jahr 1953 einen einzigen Roman. Dieser erscheint jetzt erstmals auf Deutsch. Benannt nach seiner Hauptfigur «Maud Martha», beschreibt er das Leben einer Schwarzen Frau in Chicago Anfang des 20. Jahrhunderts. Maud Martha will ihren ärmlichen Verhältnissen entfliehen. Doch in einer rassistischen und männlich dominierten Gesellschaft ist das unmöglich. Ein zartes, berührendes Buch, findet Literaturredaktorin Katja Schönherr. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Erzählband «Kanus» von der Französin Maylis de Kerangal vor. Darin sind acht unterschiedliche Frauenstimmen versammelt, die von Nähe und Entfremdung erzählen, die durch das Timbre oder die Veränderung einer Stimme ausgelöst werden kann. Buchhinweise: * Claire Keegan. Das dritte Licht. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. 104 Seiten. Steidl, 2023. * Gwendolyn Brooks. Maud Martha. Aus dem Amerikanischen von Andrea Ott. 150 Seiten. Manesse, 2023. * Maylis de Kerangal. Kanus. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 168 Seiten. Suhrkamp, 2023.
Tue, 30 May 2023 - 455 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Meine Lesebiografie
Martina Clavadetscher, preisgekrönte Autorin und Dramatikerin, und Hannes Binder, ausgezeichneter Illustrator und Maler, sind die heutigen Gäste. In der Sendung «BuchZeichen» schauen beide zurück auf ihr bisheriges Literaturleben. Als Lesende. Welche Lektüre hat die beiden geprägt? Wie hat Lesen sie beeinflusst und begleitet? Welche Bücher haben sie in eine Ecke geschmissen? Und welche hüten sie wie einen Schatz? In der Sendung «BuchZeichen» von den Solothurner Literaturtagen unterhalten sich Martina Clavadetscher und Hannes Binder über ihr Leseleben. Buchhinweise: * Otfried Preussler. Krabat. 272 Seiten. Thienemann Verlag, 2016. * Alfred Kubin. Die andere Seite. 308 Seiten. Rowohlt Taschenbuch, 2010.
Tue, 23 May 2023 - 454 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Sylvie Schenk und Esther Schüttpelz
Geschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, werden vorgestellt am Literaturstammtisch im BuchZeichen. Da ist zum einen das erschütternde Frauenschicksal aus «Maman» von Sylvie Schenk und zum anderen die Coming-of-Age-Geschichte «Ohne mich» der Debütantin Esther Schüttpelz. Die 78-jährige deutsch-französische Autorin Sylvie Schenk rekonstruiert in «Maman» die Geschichte ihrer Mutter, die weitgehend unbekannt geblieben war. Die Mutter wurde unehelich in bitterarme Verhältnisse geboren. Wer ihr Vater war, wusste man nicht. Ihre Mutter starb nach der Geburt. Das Kind kam zu Bauern und wurde dort vermutlich misshandelt. Es erholte sich auch unter der Obhut gutbürgerlicher Adoptiveltern nicht mehr. Auch später, als Frau eines Zahnarztes und Mutter von fünf Kindern, blieb sie leblos wie eine Puppe. Sylvie Schenk erzählt diese erschütternde Geschichte, die Franziska Hirsbrunner mit an den Stammtisch bringt, auf wenigen Seiten, aber mit vielen Exkursen in Zeitgeschichte, Gesellschaft und Politik. Annette König bringt «Ohne mich» von Esther Schüttpelz in die Sendung. In ihrem Debüt erzählt die junge deutsche Autorin von einer Frau Mitte zwanzig, die aus einer Laune heraus heiratet, um den Ernst des Lebens auszuprobieren. Und ja, den Ernst des Lebens lernt sie dann auch kennen, muss sich aber bald eingestehen, dass die Heirat eine Schnapsidee gewesen ist. Eine Coming-of-Age-Geschichte, die viel über die Genration Z verrät einer jungen Autorin, die dafür auch mit dem lit. Cologne Debütpreis ausgezeichnet wurde. Buchhinweise: * Sylvie Schenk. Maman. 176 Seiten. Hanser Verlag, 2023. * Esther Schüttpelz. Ohne mich. 208 Seiten. Diogenes, 2023.
Tue, 16 May 2023 - 453 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Wenn Literatur eigene Welten schafft
Charles Ferdinand Ramuz Klimaroman «Sturz in die Sonne» erschafft eine eigene visionäre Welt. Tabea Steiners zweiter Roman «Immer zwei und zwei» erzählt vom engen Freikirchenmilieu und Karl-Josef Kuschels «Magische Orte» von Begegnungen mit Menschen, Büchern und Orten, wo Literatur entstanden ist. Charles Ferdinand Ramuz' Roman «Présence de la mort» erscheint jetzt erstmals auf Deutsch. Und zwar unter dem Titel «Sturz in die Sonne». Der Text ist 100 Jahre alt – und trotzdem aktueller denn je, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Es sei der «Klimaroman der Stunde», sagt sie. Er halte uns heute in unserem Umgang mit der Klimakrise den Spiegel vor. Den eigenen Weg gehen, ein selbstbestimmtes Leben führen und was die Hindernisse dabei sein können – davon erzählt die Schweizer Autorin Tabea Steiner in ihrem zweiten Roman «Immer zwei und zwei». Das Buch schildert eine Frau mittleren Alters, die aus einer Freikirche aussteigen will, weil sie die dortige Enge und Bevormundung nicht mehr erträgt. Für Felix Münger zeigt der Roman am Beispiel der Freikirchenthematik anschaulich, wie sehr der Weg in die Freiheit ganz generell beschwerlich sein kann. Denn neben äusseren Zwängen können auch eigene Prägungen und hinderlich sein, sich selbst zu werden. Im heutigen Kurz-Tipp stellt Annette König «Magische Orte» von Karl-Josef Kuschel vor. Das Buch ist eine inspirierende und fesselnde Mischung aus Autobiografie und Sachbuch über Literatur. Buchhinweise: * Charles Ferdinand Ramuz. Sturz in die Sonne. Aus dem Französischen von Steven Wyss. 200 Seiten. Limmat, 2023. * Tabea Steiner. Immer zwei und zwei. 208 Seiten. Edition Bücherlese, 2023. * Karl-Josef Kuschel. Magische Orte. Ein Leben mit der Literatur. 664 Seiten. Patmos, 2022.
Tue, 09 May 2023 - 452 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Salman Rushdie und John Irving
Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie erzählt von einer mythischen, südindischen Stadt im 14. Jahrhundert. Und der US-Amerikaner John Irving nimmt die Leserschaft mit auf einer Reise durchs Leben eines Jungen auf der Suche nach seinen Wurzeln. Michael Luisier bringt den neuen Roman von Salman Rushdie mit in die Sendung. In «Victory City», einer als Mythologie verpackten Geschichte über den Aufstieg und Fall der mittelalterlichen Stadt Bisnaga, kommt der britisch-indische Schriftsteller einmal mehr auf seine Hauptthemen zu sprechen: Religiöser Fanatismus und die Macht des Wortes. Und hier ganz besonders: die Stärke Frau. Exeter, New Hampshire in den 1950er Jahren. Der spätere Ringer und Drehbuchautor Adam Brewster wächst umgeben von einer homoerotischen Dreiecks-Beziehung auf. Die besteht aus seiner Mutter, ihrer lesbischen Freundin und dem Ehemann der Mutter – der lebt allerdings als Frau. Die drei betrügen einander nicht, lieben sich auf ihre eigene Weise. Doch die Gesellschaft stösst sich daran. Und Adam hat Angst, dass sich dieses prekäre Dreiecksverhältnis irgendwann auflösen könnte. John Irvings neuer Roman sei eine süffige Familiensaga in Überlänge und ein Plädoyer für queere Lebensentwürfe, sagt Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Den heutigen Kurztipp widmet Britta Spichiger dem Buch «Besser allein als in schlechter Gesellschaft». Die kroatische Autorin Adriana Altaras erzählt darin von ihrer wunderbar eigensinnigen Tante, die sie ein Leben lang eng begleitet hat. Die ihr in allen Lebenskrisen zur Seite stand und sie noch mit 98 Jahren mit Ratschlägen, Pasta und Barbesuchen tröstete. Empfehlenswerte Lektüre, weil sie zeigt, wie man das Leben annehmen – und loslassen kann. Buchhinweise: * Salman Rushdie. Victory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 416 Seiten. Penguin, 2023. * John Irving. Der letzte Sessellift. Aus dem Amerikanischen von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg. 1088 Seiten. Diogenes Verlag, 2023. * Adriana Altaras. Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante. 240 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, 2023.
Tue, 02 May 2023 - 451 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Swing, Romance und Nervenkitzel
Demian Lienhard erzählt von einer Jazz Band, die swingend Propaganda macht. Colleen Hoover schreibt über grosse Gefühle und trifft damit den Nerv der Zeit. Und Hopes & Toes beunruhigen mit einem EU-Thriller, der vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs bedeutsam wird. Auf Geheiss des Nazi-Propagandaministers Goebbels wurde im Zweiten Weltkrieg eine Jazz-Band gegründet, die amerikanischen Swing mit englischsprachigen, pro-deutschen Propagandatexten kombinierte – die per Radio über den Ärmelkanal nach England gesendet wurden. «Charlie and His Orchestra» hiess die Combo, die es tatsächlich gegeben hat und um deren Geschichte der neue Roman des Schweizer Autors Demian Lienhard kreist. Für Simon Leuthold ein spannendes Stück Geschichte, das zum Nachdenken über Propaganda und das Wesen der Literatur anregt. Auf den ersten Blick wirken ihre Romane wie aus der Zeit gefallen. Die US-Amerikanerin Colleen Hoover schreibt Geschichten, wie man sie in einem Arztroman aus dem Kiosk findet: bildhübsche junge Frau verliebt sich in attraktiven Neurochirurgen. So schematisch und vorhersehbar das klingt – Hoover trifft einen Nerv der Zeit. Letztes Jahr hat niemand so viele Bücher verkauft wie sie. Und auch dieses Jahr setzt sich ihre gigantische Erfolgsgeschichte fort. Ein interessantes Phänomen, das einige Schlüsse über unsere Gesellschaft zulässt, findet Britta Spichiger. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Thriller «Der Tallinn-Twist» vom Autorenduo Hopes & Toes vor. Ein Spionagefall in der Europäischen Union führt die Agentin Marie Vos von Brüssel nach Estland. Dort kommt es zu einem Anschlag gegen die E(U)mperors, die das Baltikum unterwerfen wollen. Buchhinweise: * Demian Lienhard. Mr. Goebbels Jazz Band. 320 Seiten. Frankfurter Verlagsanstalt, 2023. * Colleen Hoover. Nur noch ein einziges Mal. It Ends with Us. Aus dem Amerikanischen von Katarina Ganslandt. 407 Seiten. dtv, 2022. * Hoeps & Toes. Der Tallinn-Twist. 320 Seiten. Unionsverlag, 2022.
Tue, 25 Apr 2023 - 450 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Lukas Bärfuss und Veronica Raimo
«Die Krume Brot», Lukas Bärfuss Roman zum Thema Armut und «Nichts davon ist wahr», Veronica Raimos Tragikomödie über eine reichlich verrückte Familie, das die beiden aktuellen Bücher am Literaturstammtisch. Die Armut ist ein Monster, das ganze Biografien zerstören kann. Dies zeigt der neue Roman «Die Krume Brot» des Schweizer Autors und Büchner-Preis-Trägers Lukas Bärfuss. Er schildert das Los einer jungen Frau mit italienischen Wurzeln. Sie wächst in den 1960er Jahren in prekären Verhältnissen in Zürich auf, kann ihre Armut nie überwinden und gerät dadurch mehr und mehr in den Abgrund. Ein aufwühlendes Werk auf literarisch hohem Niveau und voll von Bezügen zur globalen Gegenwart, findet Felix Münger. Die 44-jährige italienische Schriftstellerin Veronica Raimo hat schon einige Bücher veröffentlicht. Trotzdem ist sie bei uns bislang noch kaum bekannt. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr hofft, dass sich das ändert. Ihren neuen Roman «Nichts davon ist wahr», in dem es um das Aufwachsen in einer grotesken Familie geht, in der jeder einen anderen Spleen hat, hält sie für eine Perle unter den Neuerscheinungen in diesem Frühjahr. Der Buchtipp dieser Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen». Und tatsächlich geht es genau um das, was der Titel auch besagt: um die Orte, an denen Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf und 45 weitere Autorinnen und Autorinnen ihre Bestseller geschaffen haben. Und das in Wort und Bild. Buchhinweise: * Lukas Bärfuss. Die Krume Brot. 224 Seiten. Rowohlt, 2023. * Veronica Raimo. Nichts davon ist wahr. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. 223 Seiten. Klett-Cotta, 2023. * Alex Johnson und James Oses. Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. 192 Seiten. wbg Theiss, 2023.
Tue, 18 Apr 2023 - 449 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Jeder Tag ist ein Geschenk
Lebenskluge Bücher – um sie geht es am Literaturstammtisch: Helga Schubert erzählt von ihrem Leben als Pflegerin ihres geliebten Mannes. Hansjörg Schneider erkundet spazierend und schreibend sein Leben als Senior. Und ein neuer Gedichtband, der eigentlich alt ist, ermöglicht lyrische Zaubermomente. Die deutsche Schriftstellerin Helga Schubert ist 83. Ihr Mann ist 96 Jahre alt – und pflegebedürftig. Schubert kümmert sich zu Hause um ihn. Rund um die Uhr ist sie für ihn da. In ihrem neuen Buch «Der heutige Tag» beschreibt sie ihren kräftezehrenden Pflege-Alltag und findet gleichzeitig sehr berührende Worte für die Liebe zu ihrem Mann. Das Buch sei ein poetisches Abschiednehmen, findet Katja Schönherr. Ein ausserordentliches Vergnügen sei die Lektüre des neuen Buches von Hansjörg Schneider «Spatzen am Brunnen», sagt Michael Luisier. Der Romancier, Dramatiker und Krimi-Autor erinnert sich darin auf langen Spaziergängen durch vertraute Strassen seiner Wahlheimat Basel an seine Vergangenheit. Indem sich Hansjörg Schneider gleichzeitig Gedanken zu literarischen und philosophischen Themen macht, zeigt er sich aber auch wach für die Gegenwart. «Der ewige Brunnen» ist eine der bekanntesten Sammlungen deutschsprachiger Gedichte. Die erste Auflage erschien vor knapp siebzig Jahren. Nun hat der Jenaer Literaturprofessor Dirk von Petersdorff die Sammlung neu herausgebracht. Noch immer sei die präsentierte Fülle mit 1'200 Gedichten enorm, sagt Felix Münger, aber sie sei zünftig entstaubt. So finden sich etwa Songtexte von Udo Lindenberg: Kurzum: Ein Buch, das sich perfekt eignet, um den Reichtum der Lyrik zu erkunden. Buchhinweise: * Helga Schubert. Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. 272 Seiten. dtv, 2023. * Hansjörg Schneider. Spatzen am Brunnen. Aus dem Tagebuch. 208 Seiten. Diogenes, 2023. * Dirk von Petersdorff (Hrg.). Der ewige Brunnen. Deutsche Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. 1167 Seiten. C.H.Beck, 2023.
Tue, 11 Apr 2023 - 448 - Aktuelle Bücherempfehlungen: Ausflug in die Vergangenheit
Der österreichische Autor Clemens J. Setz und der französische Autor Eric Vuillard erzählen in ihren neuen Romanen von Ereignissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren Spuren bis in die Gegenwart reichen. Seinen neuen Roman «Monde vor der Landung» widmet Clemens J. Setz einem Militärpiloten im Ersten Weltkrieg, der die Erdkrümmung zwar mit eigenen Augen sehen konnte, aber trotzdem überzeugt war, dass die Erde keine Kugel im All ist. Sondern eine hohle Kugel, auf deren Innenseite wir leben. Diesen Militärpiloten, Peter Bender, gab es wirklich. Clemens J. Setz macht ihn zu einer tragisch-grotesken Figur. Und zeigt Parallelen auf zu heutigen Querdenker-Bewegungen. Simon Leuthold bringt den Roman an den Literaturstammtisch. Der preisgekrönte Franzose Éric Vuillard erzählt in seinem neuen Buch «Ein ehrenhafter Abgang» in gewohnt ungewohnter Manier von einem historischen Einzelereignis. Dieses Mal nimmt er sich den blutigen Krieg vor, den Frankreich als Kolonialmacht von 1946 bis 1954 in Indochina führte. Vuillard gelinge es in diesem Buch einmal mehr, die Geschichte «gegen den Strich zu bürsten» und so die Absurdität des Kriegs blosszustellen, findet Felix Münger. Die Art, wie Vuillard historische Fakten neu montiere und literarisch miteinander verbinde, ermögliche neue Einblicke in das grässliche Geschehen von damals. Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger den Debütroman des jamaikanisch-amerikanischen Autors Jonathan Escoffery vor. In «Falls ich dich überlebe» erzählt er von einer Einwandererfamilie, die in den USA ein neues Leben aufzubauen versucht. Und dabei mit Gewalt, Rassismus und Demütigung konfrontiert ist. Eindrücklich – mit bildhafter und wuchtiger Sprache zeigt er, was konstante Entwurzelung bedeuten kann. Buchhinweise: * Clemens J. Setz. Monde vor der Landung. 528 Seiten. Suhrkamp, 2023. * Éric Vuillard. Ein ehrenhafter Abgang. Aus dem Französichen von Nicola Denis. 139 Seiten. Matthes & Seitz, 2023. * Jonathan Escoffery: Falls ich dich überlebe. Aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens. 288 Seiten. Piper, 2023.
Tue, 04 Apr 2023
Podcasts similar to BuchZeichen
- Mit den Waffeln einer Frau barba radio, Barbara Schöneberger
- radioWissen Bayerischer Rundfunk
- Der Tag Deutschlandfunk
- Die Nachrichten Deutschlandfunk
- Eine Stunde History - Deutschlandfunk Nova Deutschlandfunk Nova
- Psychologie to go! Dipl. Psych. Franca Cerutti
- Die Ernährungs-Docs - Essen als Medizin NDR
- Zwischen Hamburg und Haiti NDR Info
- Gysi gegen Guttenberg – Der Deutschland Podcast Open Minds Media, Karl-Theodor zu Guttenberg & Gregor Gysi
- "Kein Mucks!" – der Krimi-Podcast mit Bastian Pastewka (Neue Folgen) Radio Bremen
- Sinnlos Märchen RADIO PSR
- Geschichten aus der Geschichte Richard Hemmer und Daniel Meßner
- Verbrechen von nebenan: True Crime aus der Nachbarschaft RTL+ / Philipp Fleiter
- Das Wissen | SWR SWR
- SWR1 Leute SWR
- WDR Zeitzeichen WDR
- Aha! Zehn Minuten Alltags-Wissen WELT
- Einschlafen mit Wikipedia Wikipedia & Schønlein Media
- Kurt Krömer - Feelings Wondery
- Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen ZDF - Aktenzeichen XY
Other Society & Culture Podcasts
- Persönlich Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- Espresso Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- Hörspiel Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- L'Heure Du Crime RTL
- Sternstunde Philosophie Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- Hondelatte Raconte - Christophe Hondelatte Europe 1
- Parlons-Nous RTL
- Affaires sensibles France Inter
- Krimi Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- Kriminalhörspiel Hörspiel und Feature
- C dans l'air France Télévisions
- Schreckmümpfeli Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
- Sternengeschichten Florian Freistetter
- Global News Podcast BBC World Service
- Verbrechen ZEIT ONLINE
- La libre antenne - Olivier Delacroix Europe 1
- ZEIT WISSEN. Woher weißt Du das? ZEIT ONLINE
- LANZ & PRECHT ZDF, Markus Lanz & Richard David Precht
- Les histoires incroyables de Pierre Bellemare RTL
- Au Cœur de l'Histoire - Des récits pour découvrir et apprendre l'Histoire Europe 1